Mittwoch, 20. April 2011

Auf dem Hund

  Friedlich gräbt sich Tessa in den noch kühlen Morgensand. Die Mädchen waren sich nicht gleich einig, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt. Also haben sie ihn Tessa getauft. Seid er Mei's Schoggi-Gipfeli erwischt hat, sitzt er jeden Morgen vor unserem Bungalow und erhofft sich eine Z'morgä-Überraschung. Er ist einer von den Hunderten von Strandhunden, die sich auf der Insel in herrenlosen Hunderudeln organisieren. Sie sind meist friedlich, konstant hungrig und neugierig und veranstalten vor allem nachts sowohl angeregte Bell-Konzerte wie auch blutige Rangkämpfe.
Das Hundegebell der streunenden Heimatlosen begleitet uns seit Beginn unserer Reise. Überall sind sie, ob Strand, Gebirge, Dschungel, Stadt oder Reisfelder: Überall spielen, jagen, schnüffeln und paaren sie sich. Die Hundedichte pro Kopf ist wohl in vielen asiatischen Staaten viel kleiner als in der Schweiz. Die Hundepräsenz im öffentlichen Raum ist aber durch ihre Obdachlosigkeit allgegenwärtig. Sie sind zum Streunen geboren und leben in halb verwilderten Rudeln. Wie bei allen Hunden und Wölfen, die in freier oder halb-freier Wildbahn leben pflegen sie ein äusserst interessantes Sozialleben. Dies äussert sich für den Hundelaien vor allem nachts, wenn "Stammesfehden" und "Diskussionsrunden" in lautem Gebell und Gejaule ausgetragen werden. Nicht selten kommt es zu groben Raufereien mit Verletzten, um die Territorien und Rangordnungen neu festzulegen. Die Methoden zur Geburtenkontrolle und die Überwachung von Krankheiten oder Beissunfällen unterscheiden sich von Land zu Land. Vielerorts werden ab und zu Sterilisationskampagnen durchgeführt. Dies kostet Geld und ist dem Staat oft zu teuer. So formieren sich ab und zu auch Tierschutzorganisationen oder Freiwilligen-Einsätze. 
Ein Spezialfall ist einmal mehr Bhutan: Die Hunde werden wegen dem buddhistischen Tötungsverbot nicht eingeschläfert, auch wenn sie sich in bedauernswertem Zustand durch die Strassen schleppen. In einzelnen Quartieren gibt es barmherzige "Hundepfleger", welche die Tiere füttern und verarzten. Vor allem in den grösseren Städten vermehren sich  die Strassenhunde völlig unkontrolliert. In Paro wurden vor einigen Jahren zwei unkonventionelle Methoden zur Eindämmung der explodierenden Hundepopulation ausprobiert: Zuerst wurden alle Hunde eingesammelt und in der Nacht in einen grossen Verschlag zusammengepfercht. Am zweiten Tag war es um die guten Absichten geschehen. Die Hunde kämpften bis der Pferch eingestampft war und die Hunde wieder ihre angestammten Reviere eingenommen hatten. Der zweite Versuch endete mit dem selben Ergebnis: Die Hunde wurden auf Lastwagen in einem entlegenem Tal 100 km entfernt im Wald ausgesetzt. Nach 3 Tagen waren die meisten wieder in der Stadt vor denselben Müllhaufen und Haustüren zu finden, die sie schon immer bewohnten.
Verglichen mit europäischen Zuchtambitionen, Gesetzen und Vermarktung der Hundehaltung mag diese Streunerei einen barbarischen Eindruck hinterlassen. Beobachte ich diese Hunde eindringlich, wie sie ihr Wolfsblut ausleben, bin ich jedoch überzeugt, dass sie die glücklicheren Tiere sind, auch wenn der Vergleich problematisch bleiben muss. Aggressivität gegenüber dem Menschen habe ich bisher noch nie erlebt. Einzig am Tag des Vollmondes war die Stimmung unter den Vierbeinern leicht angereizt. Beim Betrachten der Fullmoonparty-Besucher würde ich mich als Hund in diesen Tagen nicht anders verhalten: Knurren, Lefzen ziehen und höchste Alarmbereitschaft erstellen.