Dienstag, 28. Dezember 2010

Reisewurm

Es gibt Tage, die fliessen einfach so dahin und es gibt Tage, da ist der Wurm drin. Der heutige Reisetage wird uns als eher holprige Angelegenheit in Erinnerung bleiben. Wir sind ziemlich übermüdet, da Lia durch einen 1 1/2 stündigen Hustenanfall den Schlaf verkürzte.
Die Luft ist noch relativ kühl im Morgensmog von Manila und die Weihnachtsbäume blinken noch immer an allen Ecken. Wir fahren los mit vollgestopftem Taxi hinein in die bereits verstopften Highways Richtung Flughafen. Auf der Bay-Walk-Road heult plötzlich Lia auf und fragt, wo denn die Kinderrucksäcke sind. Vergessen - zurück ins Hotel - zurück in den Stau - zweiter Anlauf- die Zeit drängt - der Taxifahrer auch.
Auf dem Flughafen Manila's herrscht eine seltsame, weihnächtliche Ruhe. Von Reisehektik ist hier nur wenig zu verspüren. Wer kommt schon zu Weihnachten nach Manila? Noch vor der Passkontrolle werden wir aufgehalten: Flughafengebühren - 3000 Pesos - was wir natürlich nicht mehr flüssig haben.  Wir kratzen Dollars, Euros, einfach alles zusammen, was wir noch haben. Es fehlen noch 2 Dollars. Mit der Frau ist nicht zu verhandeln. So geben wir die frisch gekauften Postkarten am Kiosk wieder zurück und es reicht auf den Peso genau zum Durchlass.
Noch vor der Passkontrolle wieder eine unverhoffte Hürde: Eine DepartureCard, die wir vergessen haben - zurück - ausfüllen - die Zeit drängt - tja und dann dreimal alles auspacken und ausziehen - durch die Sicherheitskontrollen, die in Begleitung von Kindern noch absurder erscheinen. Ein letztes Mal offenbaren sich die Spuren des amerikanischen Sicherheitswahns auf philippinische Art und Weise.
Leicht verspätet sitzen wir dann endlich in unserem grossen Vogel. Alle Kinder sind topmotiviert. Vor allem Lia liebt das Fluggefühl. Der Vogel hebt aber nicht ab - warten - dann die Durchsage: technischer Defekt - alle Aussteigen - Abflug frühestens in 2 Stunden. Beim Verlassen der Maschne verschwinden dann auf unerklärliche Weise die Boarding Cards. Ohne Boarding Cards gibts keine Weiterreise. Wieder kurzer Stress. Zum Glück zeigt sich das Personal hilfsbereit mit der zerstreuten Familie und bald sind die Karten nachgedruckt. Wieder in der Wartehalle sinkt die Stimmung. Hunger, Durst und der verlorene Schlaf melden sich. Die Stimmung bleibt gereizt, bis wir die Pizza Hawai mit einer erlösenden Wasserflasche dank der neu gedruckten Boarding Card abholen können. Eine gewisse Gelassenheit kehrt zurück, bis wir schliesslich vernehmen, dass eine neue Maschine gefunden wurde und wir doch noch heute abfliegen.
Von Reiseromantik spüren wir zur Zeit nur wenig. Alles erscheint heute irgendwie verschwommen, verzerrt und anstrengend. Dank dem Aktivismus der Kinder werden Mei und ich dauernd wieder aus dem langersehnten Minutenschlaf gerissen. Als wir dann dank einem total ungeschickten Flight-Attendant, mit Wasser, Wein und Orangensaft überspritzt sind, strampelt auch noch Enya die Verpflegung vom Tisch. Schliesslich schmeisst mir die Bedienung noch mein Menu unter den Sitz, sodass der Appetit mit der Stimmung definitiv vom Tisch sind.
Während wir uns mit einem Glas Wein und ein wenig Musik zu entspannen versuchen nähert sich uns das asiatische Festland unter uns im Abendlicht. Thailand winkt uns wieder entgegen. Als wir beim Einnachten mit dem Taxifahrer lachen, die Kinder tapfer das Grossstadttempo durchhalten und wir uns mit letzten Kräften mit Sack und Pack durch die aus allen Nähten platzende Kaosan Road schleppen, ist uns klar: Bangkok empfängt uns so stimmungsvoll mit Temprament, wunderbarem "Street Food" und wohltuender, lauter Musik, dass wir den harzigen Tagesverlauf endlich wegstecken und den Wurm begraben können.

Freitag, 24. Dezember 2010

Gemischte Gefuehle

Wir sind in die ExPad-Szene hineingerutscht in San Fernando, einer Kleinstadt im Nordwesten von Luzon. Nicht nur in unserem Resort sind wir ausschliesslich von Mischehen zwischen Philippinas und Europaern umgeben, sondern ueberall, wo wir Nicht-Philippinos treffen. Europaeische Touristen existieren hier kaum, schon gar nicht mit Kindern. Wir sind die absoluten Exoten und werden vielleicht gerade deshalb sehr herzlich empfangen. Die phlippinische Freundlichkeit, die Meerstimmung und der spannende Austausch mit den gemischten Paaren bestimmt unseren Alltag. So kommt es, dass wir am Heilig Abend mit Olivier und Ruedi  und ihren Philippina-Frauen Fondue essen und Lia und Simea mit den huebschen Mischlings-Kindern im Swimming Pool um die Wette tauchen.
Auch in San Fernando ist die Philippino-Welt von diesem Kultur-Mix gepraegt, der uns seit unserer Ankunft auf den hiesiegen Inseln beschaeftigt: Eigenheiten gibt es wenig, alles wird nachgeahmt, meist in ziemlicher mieser Qualitaet. Das wichtigste Gut fuer den Binnenmarkt, wie auch fuer den Export sind tragischerweise Menschen, insbesondere Frauen. Jeder 8. Philippino arbeitet im Ausland, meist als Billig-Arbeitskraft. Mischehen und Sexgewerbe bilden einen Wirtschaftfaktor, der selbst in Asien wohl seinesgleichen sucht. Dazu kommt ein Bevoelkerungswachstum, das seit Jahren weltweit auf den vordersten Plaetzen liegt. Zu viel Menschen, zu wenig Arbeit, zu wenig Geld, ein fehlender Staat und fehlende Verwurzelung.
Trotzt der beeindruckenden Liebenswuerdigkeit dieser Menschen schwingt aus den vielen Geschichten der gemischten Paaren, die wir hier treffen, immer wieder diesselbe Tragik mit: Ein Land auf der Suche nach sich selbst. Schicksale, die wenig Perspektiven fuer eine bessere Entwicklung dieser Inselwelt zulassen. Die indivudellen Geschichten begleiten das Scheitern eines maroden Systems: Zwei Haeuserblocks neben uns wohnt die Ortega-Famile, der herrschende Clan der Stadt. Politische Gegner werden kaltbluetig ausgeschaltet, von allen oeffentlichen Bauvorhaben fliesst mind. 30% in die Taschen der lokalen Machthaber und vor den Wahlen werden offiziell an alle Mitbuerger 500 Pesos ausbezahlt, die ihre Stimme fuer die Familie abgeben. Entweder man arrangiert sich mit diesen Spielregeln, wird zynisch oder machts wie alle anderen es auch versuchen: mit Geld.

Montag, 20. Dezember 2010

Arbeitsmoral

Wer kennt sie nicht, Heinrich Boells Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral aus den 60-iger Jahren: Der Fischer und der Tourist sitzen zusammen am Strand und schauen ins offene Meer hinaus. Der Tourist, der hart gearbeitet hat, um Ferien zu machen, erreicht das vermeintliche Nichtstun am Meer, so wie der Fischer eben dieses geniesst waehrend seinem Arbeitsalltag. Fuer den Touristen ist es zuerst unbegreiflich, wieso der Fischer nicht noch mehr Fische faengt, um dann spaeter einmal verreisen zu koennen. Am Schluss muss er aber nachdenklich schweigen, um sich und sein Aktivismus, bzw. seine Arbeitsphilosophie ja sogar den Sinn des Lebens zu hinterfragen.
Am Strand von San Fernando entlang schlendernd treffe ich einen solchen Fischer, der gerade im Schatten sitzt und genuesslich eine Zigarette raucht. Ich frage ihn, wie es denn so aussieht mit den Fischen, lanciere den ueblichen Smalltalk des interessierten Touristen und staune ob seiner grenzenlosen Ruhe. Er warte, erklaert er mir, er warte, bis das Meer ihm die Fische bringt. Mehr gibt es nicht zu tun. Tatsaechlich fuellen die Gezeiten die Netze, ohne dass der menschliche Wille gross das Geschehen beeinflussen koennte. Entweder sind die Fische da oder eben nicht. Und wenn sie nicht mehr da oder immer seltener da sind? Tja dann wird gewartet, weil sie irgendwann seit eh und je immer wieder gekommen sind.
Die Ruhe truegt hier im ehemaligen Sperrgebiet der amerikanischen Armee. Der Strand wird schmaler, der Meeresspiegel steigt, die Fische sind kleiner geworden, die grossen Faenge seltener und Alternativen zum Fischen gibt es wenige. Es fehlen ebenso touristische wie sonstige wirtschaftliche Perspektiven. Das Gebiet wirkt eher wie ein Abstellgleis oder ein Altersheim ohne Glaube an eine bessere Zukunft. Zudem dominieren hier weisse, graue Herren die Strandszene. Mei ist in dieser Region eine absolute Raritaet. Ausser am Wellenreiterstrand von San Juan, da tauchte naemlich eine nordlaendische Blondine auf, ist weit und breit keine europaeische Frau zu sehen. Ueberall nur immer dasselbe Bild: Aeltere, gesetzte, graue Herren mit jungen, laechelnden Philippina zur Seite.
Ich schaue wieder ins Meer hinaus und analysiere mit Jim, einem englischen Lehrer aus Hongkong, die philippinische Eigenart, die Tragik des Fischens und die Tuecken der westlichen Arbeitsmoral. Die philosophische Ueberlegenheit des Boell'schen Fischers schmilzt dahin. Die Meeresromantik loest sich auf in der Tragik des philippinischen Volkes, wo sich die Ruhe und Gelassenheit laengst in Lethargie und Apathie verwandelt hat. Wer glaubt hier noch an den grossen Fang?

Sonntag, 19. Dezember 2010

Frühmesse

Die Schwestern des Santa Catalyna Convent in Baguio sind in Hochstimmung. Seit dem 16. Dezember lassen sie die Klostermauern in einem feierlichen Weihnachtsrausch erklingen. Jeden Morgen um 3.00 Uhr beginnt Schwester DJChristmas  mit einer zuckersuessen BestOf von bekannten und vergessenen Weihnachstschnulzen, und dies in einer solche Lautstaerke, dass ausser die Kinder alle erwachen, die innerhalb des Convents naechtigen. Diese Nachtruhestoerung hat ihren guten Grund. Um 4.00 Uhr naemlich ertoenen im ganzen Land die Glocken zur philippinischen Weihnachtsfruehmesse, dem Simbang Gabi. 9 Tage vor Weihnachten beginnt die intensive Vorbereitung, die schliesslich in der Mitternachtsmesse vom 24. Dezember gipfelt.
Die Schnulzen sind so quaelend laut, dass ein Weiterschlafen fuer mich nicht mehr in Frage kommt. So braucht es wenig Ueberwindung, um sich in die bereits dicht geschlossenen Reihen der Kirchgaenger zu draengen. Die Klosterkapelle ist prallvoll. Sogar die Eingangshalle nebenan hat keine freien Plaetze mehr. Die Messe wird hier mit Beamer auf Grossleinwand uebertragen. Die Eingangstuere steht weit offen, sodass der kuehle Nachtnebel von der Bergstadt Baguio ueber die betenden Gesichter streift.
Diese neun Tage bilden so was wie den Jahreshoehepunkt fuer die immer kleiner werdende Glaubensgemeinschaft, die der heiligen Katharina nachfolgt und dem Dominikanerorden angehoert. Vergebens suche ich bei ihrer Christmas-Party nach jungen Schwestern. Irgendwie scheinen diese Klostermauern ihre Bluetezeit schon laenger hinter sich zu haben. Die Lage ist zwar wunderschoen, das Klima angenehm kuehl, die Nebel gespenstisch schoen  und die Huegel wild und leuchtend gruen. Trotz diesen eigentlich guten Voraussetzungen ist der Ort in der Entwicklung typisch philippinisch am Stagnieren.
Die Predigt der Fruehmesse kommt nicht ueber die ublichen katholischen Floskeln hinaus. Symptomatisch fuer das Fehlen von Visionen, Dynamik und frischem Wind. Die Kircheninhalte beruehren den Alltag der Menschen kaum. Und so wird mir denn auch immer wieder bestaetigt, dass die Philippinos zwar keine schlechten Kirchgaenger sind, christliche Werte im Alltag aber nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Messebesucher sind andaechtig, beten fromm, sind vom harten Leben gezeichnet und einige sind auch noch nicht ganz wach, wie ich. Nach der Messe gibt es auf der Kirchentreppe Ginger-Tea und die traditionellen Sticky-Reiskuechlein. Ich verziehe mich noch einmal fuer ein Nickerchen und bin froh, nicht alle 9 Messen besuchen zu muessen. Die Kirche wird auch morgen wieder voll sein, denn es gilt, wer alle 9 Tage dabei ist, wird im naechsten Jahr von Unheil verschont und mit Glueck gesegnet.

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Big Mac sMall World

Es glitzert im Konsumuniversum der Shopping Mall SM Baguio. Überall funkeln und leuchten die farbigsten Weihnachtslichter durch Regale, neben Kassen und über den Ladeneingängen. Der Kitsch kennt keine Grenzen und Schneeflocken, Engel und Weihnachtsmänner tanzen so aufdringlich, dass es selbst für abgebrühte Christmas-Shopper schon bald eine Verschnaufpause im Karaoke-Übungsraum oder ein Kaffeehalt mit Croissant in der Swiss Bakery ansteht.
Wir sind nach fast 3 Wochen eher bescheidenem Lebensstil in den Bergen mitten in die Endphase der philippinischen Weihnachtsmanie hineingeschlittert. Die grösste Mall der Bergstadt Baguio bietet dazu alles, was die globalisierte Oberschicht begehrt. Soll der Rausch wirklich einfahren, muss das nötige Kleingeld allerdings vorhanden sein. Die Preise sind stolz, das Angebot verlockend und bekanntlich sind die Philippinos nicht so leidenschaftliche Sparer wie die Schweizer.
Das 4-stöckige schiffartige Gebäude lässt uns verweilen. Mei liegt seit 1 Stunde als Geburtstagskind im Beauty-Salon und die Mädchen und ich ziehen als Weihnachtsattraktion durch den lärmigen Unterhaltungstrakt. Überall schallt uns Musik entgegen. Meistens bekannte Melodien aus den Achzigern oder seichtes Aktuelles aus der Popwelt. Philippinische Musik scheint nicht zu existieren, weder in den Plattenläden noch sonst irgendwo. Der grosse Traum widerspiegelt sich im Erfolg des Karaokekultes. Die Philippinos sind prädestiniert, keine eigene Musik zu pflegen, sondern alles irgendwie zu kopieren. Je peinlicher die Imitation ist, desto mehr Erfolg ist ihr sicher, jedenfalls auf der Karaokebühne.
Ständig werden wir angehalten für Fotos von den Kindern. Geduldig spielen wir mit, bis wir uns allmählich nicht mehr wohl fühlen. Wir merken, wie wir in dieser künstlichen Welt in eine Rolle, in ein Theater hineinlaufen, die perfekt passt zu dieser Karaoke-Konsumgesellschaft, in der virtuelle, reelle und imaginäre Welten ineinanderfliessen. So nehmen wir Platz auf dem riesigen Weihnachtssofa zwischen Kokos- und Fruchtsaft-Ständen, um in dessen rotem Polster die Fotoblitze abfedern zu lassen. Erschöpft taumeln wir Richtung Verpflegungsetage und landen vor einem Bic Mac, der exakt gleich schmeckt wie irgendwo sonst auf der Welt. Die Pommes sind mittelprächtig knusprig, die Abfalltürme werden korrekt entsorgt und die Toiletten glänzen fröhlich, wie sonst irgendwo in den 38'000 Filialen des American Way of Taste. Mit halbleerem Magen steigen wir vom Shopping-Hügel hinab, um unsere Sinne im realen Kleinstadtalltag zu erholen.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Nebelmeer


Es ist 3.30 Uhr im Apa-Valley. Alles schläft noch tief und fest. Der Sternenhimmel funkelt. Die Stille der Nacht umhüllt den dichten Wald. Nur das Rauschen des Flusses bricht die Ruhe. Chester (Jäger, Bauer und Mountain-Guide in Ausbildung) und ich essen lauwarme Reis-und Siedfleischresten mit weissen Bohnen am wärmenden Feuer. Dazu gibt's 3 in one (Zucker, Kaffee und Pulvermilch) zur Stärkung.
Mit Stirnlampe, 4 Liter Wasser und Buschmesser ziehen wir los in den stockfinstern Wald hinein. Die Luft ist noch angenehm kühl. Nur das Rascheln unserer Schritte stört die Nachtruhe. Wir gewinnen rasch an Höhe und erreichen bald die erste Föhrenwaldzone. Trockener Nadelgeruch begleitet uns jetzt im Gegensatz zur moosigen Feuchte der tieferliegenden Bewaldung. Nach 1 Stunde entfachen wir das erste Pausenfeuer, dies scheint unter den Jägern so üblich zu sein. Die Dämmerung verdrängt allmählich unsere Lampen und der Wald erwacht. Dank unserem Minimalgewicht fliegen wir Richtung "Mossy Forest". Weil mein Wecker rund 1 Stunde zu früh lossang, sind wir nun so gut unterwegs, dass wir sogar den Gipfel des Mt. Kalawitan ins Auge fassen können. Die Herausforderung lockt und so überspringen wir Pause 2 und Pause 4. In der "Hunters Hut" gönnen wir uns aber doch eine Verschnaufpause mit Blick in eine undurchdringliche Wildnis im Morgenlicht. Hinter uns tauchen die morgendlichen Nebel über den Tälern ins erste Sonnenlicht und die warmen Strahlen wecken die sich aufreihenden Gipfel gegen Nordosten. 
Die Holzkerben der Jäger dienen uns als Wegmarkierungen, die Bambuskreuze als Warnung und Zeichen für die Fallen, die überall dem Weg entlang immer noch gestellt werden. Wir entdecken Kot der seltenen Cibetkatze und der ebenso seltenen Hirschen. Eigentlich sind alle Tiere hier sehr rar geworden, weil die Jäger noch heute alles verwertbare Lebendige totschiessen. So sind auch die Wildschweinspuren, die wir zwischen vermoostem Wurzelwerk finden eine Rarität.
Der Wald tropft, obwohl die Regenzeit beendet ist. Die Unmengen von Moos und Flechten nehmen auch das Wasser auf, das durch den täglichen Nebel und den Tau hängenbleibt. Bis 30% mehr Wasser speichert deshalb der "Mossy Forest" im Vergleich zu den übrigen Bergwäldern. Die trockenen Föhrenzonen liegen tief unter uns, die Luft wird kühler, der Wind stärker und die Vegetation niedriger. Kurz vor dem Gipfel verlieren wir die Holzkerben der Jäger und irren für eine Weile durch eine bizarre Wildnis. Chester wirkt ruhig, gelassen und konzentriert, sodass wir plötzlich auf der Lichtung des dritthöchsten Gipfels der Philippinen stehen: Nach 3 1/2 Stunden Aufstieg und 1700 Höhenmetern in dichtem, manchmal unheimlich anmutenden Märchenwald, erblicken wir ein riesiges Nebelmeer über den "Low Lands" Richtung Südosten. Ein metaphysischer Augenblick der Freiheit, der unser Durst und die leicht überstrapazierten Beine vergessen macht.

Montag, 13. Dezember 2010

Jagdgründe

"Jetzt habe ich endlich einen richtigen Jäger gesehen. Er sieht ein wenig aus wie ein Räuber." Simea und Lia sind beeindruckt von Gewehr, zerrissenen Hosen und den roten "Momamäulern" der erfolglosen Jäger, die in Apa, unserem Jagdhütten-Camp vorbeischauen. Beute haben sie schon länger keine mehr heimgetragen. Sie geben dann auch zu, dass sie eigentlich besser fischen gehen sollten. Raubkatzen, Schalenwild oder Affen, alle sind kaum mehr zu finden. Ohne systematischen Schutz und einer Jagdplanung haben hier in diesen weiten, entlegenen Jagdgründen die Wildtiere keine Chance.
Glücklicherweise fragen die Kinder nicht allzu hartnäckig nach dem Sinn und Zweck des hiesigen Jagens. Vor allem Simea reagiert sehr sensibel gegenüber den toten Tieren und isst deshalb nur wenig oder gar kein Fleisch oder Fisch. Den Philippinos scheint ein Mitgefühl gegenüber Tieren total fremd zu sein. Sowohl Spiel wie auch Arbeit mit den Tieren artet oft aus in brutale Umgangsformen oder sinnlose Quälereien.
Zu später Stunde, alle Kinder schlafen bereits, sitzen wir ums Lagerfeuer. Die Geschichten rollen, die Flammen züngeln und der Goava-Wein schmeckt. Unverhofft taucht Roger, einer unserer Guides, aus dem Dunkeln mit einem aufgespiessten Frosch an seiner Harpune. Halblebendig liegt er schon über den Flammen und 20 Minuten später habe ich den ersten aum Bambuszweig grillierten Frosch meines Lebens verspiesen. Mei lehnt dankend ab, obwohl Frösche besonders gesund für die Gelenke seien, wie wir von Roger erfahren. Schon bald ist dieser wieder weg, um noch einige "Spielfrösche" für die Kinder zu fangen. Tatsächlich bringt er dann noch eine ausgewachsene Kröte und ein kleineres, leuchtendes Fröschchen aus der pechschwarzen Dunkelheit.
Am nächsten Morgen, als Roger das neue "Spielzeug" präsentiert, müssen Lia und Simea mit Schrecken feststellen, dass die Kröte das kleine Fröschlein verschluckt hat. Eine Flucht des Kleinen konnte ausgeschlossen werden, da das arme Kerlchen im Bauch des grossen ertastet werden konnte. Zum Trost der Mädchen will Roger dann der Kröte eine Spazierleine verpassen. Was für die Philippinos völlig normale Alltagsunterhaltung ist, löst bei den Mädchen soviel Mitleid aus, das sie die Kröte schliesslich heldenhaft in die Freiheit entlassen.
Unsere Führer, die seit ihrer Kindheit alles jagen, was sich bewegt, lassen die Frösche  für heute in Ruhe. Dafür wird die kleine Harpune nun für die Flussfische eingesetzt, die sie mit Hilfe einer Taucherbrille reihenweise aufspiessen. Geschickt und mit Leidenschaft demonstrieren sie ihr Können. Lia nimmts eher gelassen, aber für Simea ist diese Jagdleidenschaft etwas, das sie langsam und gründlich verarbeiten muss. Am Mittag sind sich alle Europäer einig: fritiert schmecken die Fischchen viel besser als direkt von der Harpune!

Samstag, 11. Dezember 2010

Headhunting

Mit Martin sind wir unterwegs ins Gebiet der Kalinga, einem Bergvolk, das bis heute seine Identität bewahrt hat. Erfolgreich haben sie sich gegen Kolonialismus, Katholizismus und sonstige westliche "ismen", gewehrt, sodass sie heute eher als eine philippinische Ausnahmeerscheinung die Bergkultur der Mountain-Provinz prägen. Wir fahren durch das imposante Tal des Chico-Rivers, der dank dem politischen Widerstand der Kalinga gegen das Marcos-Regime immer noch durch die grüne Wildheit meandert. Beinahe hätte die faszinierende Landschaft einem riesigen Staudammprojekt weichen müssen. Zwischen steil bewaldeten Hängen, eingefressen im Basaltfels, umrahmt von leuchtenden Reisterrassen, rauscht das glasklare Wasser Richtung Nordosten. Am Oberlauf des Flusses erzählt man sich noch heute die Geschichte, dass einer der Götter aus dem Mt. Kalawitan-Massiv hinabgestiegen ist und eine riesige Schlange, die ihr Unwesen im Gebiet trieb, in den Chico-River verwandelt hat.
Unser Blick schweift gegen den wilden Osten. Martin erzählt uns die Geschichte eines seit Jahrhunderten schwelenden Konfliktes zwischen zwei Dörfern und zeigt auf die rauhen Hänge, wo noch heute die "Headhunter" um Gerechtigkeit und Ehre kämpfen. Aug um Auge, Zahn um Zahn - die hiesigen Bergler zählen immer noch auf die nie endende Blutspirale der Selbstjustiz. Was für den Aussenstehenden archaische Brutalität ist, gehört für die Einheimischen zur sozialen Stabilität, die mit Stolz, Ehre und Gerechtigkeitsinn verteidigt wird. Obwohl anfangs 20.Jahrhundert das "Headhunting" gesetzlich verboten wurde, werden noch heute auf diese Weise Rechnungen beglichen. Einige zaghafte Regelungen, dass Konflikte auch mit dem Austausch von Sachwerten wie  Wasserbüffeln beglichen werden, konnten die Anzahl rollende Köpfe zwar vermindern. Die Tradition, dass derjenige mit den meisten Köpfen vor dem Haus, Macht und Ansehen des Dorfes auf sicher hatte, ist jedoch noch heute in den dicken Schädeln verankert.
Im Reiseführer wird abgeraten, ohne Führer und einheimische Kontakte im Gebiet herumzureisen. Martin, unser Führer, schätzt, dass die unmittelbaren Nachbarn wohl eher das Gebiet meiden sollten, als Touristen, da Aussenstehende schliesslich überhaupt nichts mit den Dorffehden zu tun haben. Trotzdem meint auch er, dass allgemein alle Auswärtigen nicht besonders willkommen sind. Deshalb dringen wir nicht mehr tiefer in diese rauhen Täler vor und machen uns gemächlich auf den Heimweg. Unterwegs lachen, arbeiten und warten die Leute - keine Anzeichen, dass wir uns hier in einem Gebiet befinden, wo geschriebenes Recht kaum zählt und die Moderne an den Ufern des Chico-Rivers versickert ist.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Kindisch

Ohrenbetäubend ist das Gequietsche der rostigen Schaukeln und das Gekreische der Kinder auf dem einzigen Spielplatz von Bontoc. Die Rutschbahnen sind überfüllt und es wird geduldig Schlange gestanden. Lia, Simea und Enya mischen sich unter die Menge. Unmöglich, dass diese 3 Blondinen nicht auffallen, werden sie bald von einer grossen Kinderschar umringt, die mit neugierigen Augen die ungewohnten Gesichter mustern. Trotz den äusserlich offensichtlichen Unterschieden sind hier mehr interkulturelle Gemeinsamkeiten anzutreffen als anderswo: Kinder verbinden Kulturen auf ganz natürliche Weise ohne nach universellen Werten oder Argumenten zu suchen.
Die Philippinos sind ein ebenso kinderreiches wie auch kinderfreundliches Volk. Überall werden unsere Kinder mit offenen Armen und Lachen empfangen. Was diese Kontakte bei den Philippinos angenehm macht, ist eine gewisse Zurückhaltung, die sie aus Unsicherheit oder Respekt ausüben. Neben dieser für uns angenehmen Distanz verhalten sich oft auch die Eltern wie Kinder, sodass die ganze Gesellschaft manchmal wie ein riesiger Kinderspielplatz erscheint. Emotionen sind wichtig, Argumente zählen, wenn überhaupt nur wenig und die Gesichter strahlen Herzlichkeit und Spontanität aus. Die Kehrseite dieser Kindertugenden im Erwachsenenalter sind ebenso offensichtlich: Planung, Organisation, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein bleiben meist Fremdwörter.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Philippinos ein riesiger Kindergarten sind, ein Volk das in den Kinderschuhen steckengeblieben ist. Verständlich wird diese Feststellung durch die ständige Fremdherrschaft seit Jahrhunderten. Nach den Spaniern und den Amerikanern hat die Globalisierung die Philippinen so vereinnahmt, dass sich keine "erwachsene" Identität bilden konnte.
Die Mimik der Leute auf Fragen und Antworten ist von emotionaler Betroffenheit und rationaler Apathie geprägt. Dies bedeutet unter anderem auch, das irgendwie nichts wirklich ernst genommen wird. Schicksalsglaube paart sich mit Gelassenheit oder Gleichgültigkeit. Daraus entsteht das Gebot: Du musst mit dem Schlimmsten rechnen, kannst aber auch auf das Beste hoffen. Alles ist möglich durch eine Art Zufallsprinzip, das entweder von der unsichtbaren Hand nationaler und internationaler Machteliten oder von Gott gesteuert ist. In diesem kindlichen System der Willkür bleibt oft nur noch die Hilfe übernatürlicher Kräfte. Nur so kann die trotz allem verlorene Sorglosikeit der Kindheit in Hoffnung verwandelt werden.

Dienstag, 7. Dezember 2010

1. Schultag

Die Fahne steigt langsam in den blauen Himmel empor, sowie es vom amerikanischen Patriotismus erlernt wurde. Die weissblauen Schuluniformen leuchten im Morgenlicht und durch die disziplinierten Reihen ertönt das Morgengebet, wie es von den Spaniern mit missionarischem, katholischem Eifer eingeführt wurde. Die Schule beginnt ziemlich pünktlich um 8.00 Uhr. Lia sitzt neben Noelle am kleinen Pult in der vordersten Reihe: Der 1. Schultag und das Ganze erst noch auf Englisch.
Disziplin erscheint auch in den Klassenzimmern von Lagawe als die grosse pädagogische Herausforderung der Lehrer. Vor allem die Boys lachen, schwatzen und versuchen immer wieder ein Katz- und Mausspiel mit der Lehrerin einzufädeln. Am bravsten und aufmerksamsten ist ohne Zweifel Lia, die sich lange auf diesen Moment gefreut hat und mit Konzentration und grossem Respekt sich bemüht, die englische Aussprache so gut wie möglich hinzukriegen. Buchstabenreihen hallen nun in Sprechchören durch die eher kahlen Wände des Klassenzimmers. Lia ist begeistert und stolz. Während der Pause gehts hoch zu und her. Der einzige Kinderspielplatz mit Schaukeln in Lagawe kreischt und quitscht. Obwohl am Ende des Pausenplatzes eine Abfalltrenneinrichtung für Umweltbildung sorgen sollte, ist der ganze Innenhof mit Müll übersät. Die Kinder stört's kaum, die Lehrer scheinen den gewissen Ehrgeiz schon lange verloren zu haben.
Lia integriert sich dank Noelle schnell. Die Englisch-Fetzen werden durch Lachen und dem natürlichen Spieltrieb ergänzt, sodass ein Hauch von interkultureller Idylle aufkommen kann. Dank dem Englisch wird dies möglich, für unsere Kinder ein Glück, für das philippinische Schulsystem zugleich Fluch und Segen. Die englische Sprache ermöglicht eine nationale Einheit und wäre eine solide Basis sowohl für die internationale Zusammenarbeit, wie auch für Tourismus und kulturellen Austausch. Der Alltag der Philippinos lebt aber in den unzähligen einheimischen Sprachen und Dialekten, sodass die Sprachambivalenz einen dauerhaften Graben in ihr Denken und Handeln reisst.
Auf dem Weg nach Baguio erleben wir später, was dies heisst: Vaca! Vaca! schreit ein kleiner Junge aus dem Fenster des Busses, um sogleich von seiner Mutter korrigiert zu werden. "No, no Anthony, this is a cow." Eine doppelte Sprachtragik, weil "Vaca", von den Spaniern geerbt, in Tagalog, eben auch hier Kuh bedeutet.
Lia kümmerts ebensowenig, wie ihre neuen Schulgspändli. Als sie mit Noelle nach Hause kommt, grüsst sie kaum und stürzt sich hochmotiviert in die Hausaufgaben. Die Assignements sind nicht einfach, aber sie beisst sich durch. Wir nehmen an, dass diese Begeisterung nur ein gutes Omen für die zukünftige Schullaufbahn sein kann. Englisch hin oder her!

Sonntag, 5. Dezember 2010

Chlaustag

Menschenleer sind die Strassen von Lagawe. Der nasse Boden glitzert feucht bei matter Beleuchtung. Im Gleichschritt ziehen wir mit schneeweissem Hirthemd, "Chrumme" im Mundwinkel und dem standesgemässen Chlausenhalstüechli an verlassenen Marktständen vorbei. Mit den traditionellen Gongs, die ausschliesslich für rituelle Tänze und traditionelle Feste der einheimischen Ifugaos verwendet werden, "trycheln" wir im gemächlichen Ryhthmus. Tom und ich werden von einem Nidwaldner Samichlaus in kurzen Hosen begleitet, der mit der Plastikflöte von Lia die Küssnachter  Chlausenmelodie in die Dunkelheit hinaus trällert.
Vor dem philippinischen Nationalhelden José Rizal zünden wir den obligaten Böllerschuss, der jeweils den heimatlichen Umzug Punkt 20.15 Uhr lanciert. Der Schweizer Kracher erschüttert die nächtliche Stille dermassen, dass wir es vorziehen, der in Rauch eingehüllte Ort möglichst bald zu verlassen und zum Kirchenplatz zurückzukehren. Unser Zügli wirkt zwar eher surreal, was aber unseren heimatlichen Gefühlen keinen Abbruch tut. Die Mystik der Gongs verschmelzt mit der Erinnerung des urschweizerischen Trychel-Klanges. Der Qualm unserer Raucherwaren verbindet tropische Hitze mit den Bildern von leichtem Schneefall und Weihnachtsbeleuchtung.
Trotz der andächtigen und meditativen Stimmung durch Klang, Emotionen und Geruch, können wir das Schmunzeln über unser Trio nicht verkneifen. Zu absurd, zu skurril durchqueren wir den Kirchenplatz, um schliesslich mit einer Temposteigerung den Umzug abzurunden.
Anders gestern beim Chlausabend für die Kinder: Der Samichlaus kam eingeflogen über Manila und mit dem Nachtbus in den Norden, um die Schweizer Kinder auch in der Ferne nicht zu vergessen. Alles wie zuhause, fast alles, sodass die Kinderaugen genauso leuchten, wie eben im gewohnten gut-schweizerischen Umfeld. Die Liedli und Gedichtli rollen über die glänzenden Mädchenlippen und der Samichlaus zeigt sich einmal mehr von einer beeindruckenden und gutmütigen Seite.
Was für die Kinder völlig selbstverständlich ist, bedeutet für uns eine kulturelle Gratwanderung zwischen zwei Welten, die auf den ersten Blick sehr wenig miteinander zu tun haben. In der hochglobalisierten Armut der Philippinen leuchten aber genügend Symbole vom Weihnachtsmann bis zum Christkind und den Engelein zwischen Blechhütten und Einkaufszentren. Unsere Chlausentage sind deshalb trotz ungewohntem kulturellem Umfeld global aufgehoben zwischen Geisterwelt, Legenden, Religion und Kommerz.

Freitag, 3. Dezember 2010

Terrassiert

Als 8. Weltwunder gelten die spektakulären Reisterrassen ringsum Banaue. Durch diese unbescheidene Etikette wurde der Ort weltberühmt und ins Inventar des kulturellen Welterbes der UNESCO aufgenommen. Seit über 2000 Jahren werden hier die steilen Hänge terrassiert und mit Reis bepflanzt.
Wir stehen auf einem Aussichtspunkt, schauen beeindruckt in die Tiefe und lassen uns in das faszinierende Mosaik der verschiedensten Grüntöne hineintreiben. Simea und Enya sind mit einem Güezi und einem warmen Kakaodrink beschäftigt, während die Nebelschwaden über die Terrassen streichen. Es ist Zwischensaison, die Ernte liegt Monate zurück, die Felder werden gesäubert und einzelne haben bereits mit dem Fluten begonnen, bevor dann die Setzlinge ins Wasser gesteckt werden und der Jahreszyklus wieder beginnt. Aufgrund des Bergklimas kann hier nur einmal geerntet werden, was den sonst schon sehr extensiven Anbau noch unrentabler macht.
Die atemberaubende Schönheit trügt. Vielerorts nagen bereits die Naturkräfte am arbeitsaufwendigen Kulturgut: Verbuschung, Erdrutsche und Felder, die nicht mehr korrekt unterhalten sind, fügen der Landschaft unübersehbare Wunden zu. Viele Reisbauern ziehen inzwischen der harten Feldarbeit eine lukrativere Beschäftigung im Tourismus vor. Traditionelle Lebens- und Arbeitsweise scheinen nur noch den Ältesten vorenthalten zu sein. Nicht selten posieren alte Frauen und Männer in traditionellen Kostümen auf den Touristenflecken. Der Stolz ist aus ihren Augen gewichen. Folklore und Tradition scheinen nur noch wegen dem Tourismus weiter zu existieren, während sich die Natur die Terrassen langsam zurückerobert.
Der Reisanbau ist nach wie vor der grösste Anteil der landwirtschaftlichen Nutzung auf den Philppinen (30%). Die neoliberale Wirtschaftspolitik hat jedoch dazu geführt, dass der Eigenbedarf nicht mehr gedeckt werden kann. Statt auf Selbstversorgung setzt die Politik auf rentablere Produkte wie Kokos, Nutzholz oder Bananen. Dies lässt die traditionellen Anbaumethoden ausbluten und versklavt die Landbevölkerung an riesige nationale und internationale Firmen. Eine tragische Geschichte, wie sie in so manchem Entwicklungsland landwirtschaftlicher Alltag ist. Dazu kommt eine philippinische Agrarreform, die wegen Korruption und kolonialen Machtstrukturen nur zögernd oder gar nicht umgesetzt wird. So beeindruckend diese Terrassen sind, die agrarpolitische Realität, die sich dahinter verbirgt, stimmt nachdenklich.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Kaffeepause

Kaffeetrinken als Bestandteil einer globalisierten Alltagskultur bedeutet auch für den Reisenden ein angenehmes Ritual geschmacklicher Geborgenheit. Allerdings verlangt der asiatische Kulturraum viele Kompromisse, die glücklicherweise oft nicht immer ringsum das Nestlé-Imperium kreisen. Nescafé hat aber offensichtlich fast jeden Winkel der Welt erreicht und die Geschmacksglobalisierung entscheidend mitgeprägt.
Ich besichtige die Kaffeerösterei in Lagawe hinter der Kirche zwischen ungemistetem Entengehege und verwildertem Gemüsegarten. Die Röstmaschine wurde soeben mit einem neuen Motor bestückt, der wegen einem Produktionsfehler die gesamte Kaffeeproduktion der Provinz Ifugao lahmlegte. Die Kapazität von 6 Kilo Kaffeebohnen pro Stunde ist bescheiden, die Produktion aber zentral, um ein traditionelles einheimisches Produkt wieder neu beleben zu können. Als nämlich der Weltmarktpreis des Kaffees zusammengebrochen ist, stellten hier die meisten Bauern auf lukrativere Produkte um, die inzwischen auch nicht mehr rentieren. Die Wiederbelebung des lokalen Marktes verläuft harzig. Viele Bauern sind nicht bereit längerfristig zu planen, was beim Kaffee und dessen Vertrieb zentral wäre. Es mangelt vor allem an der Bergsorte "Arabica", aber auch "Robusta" ist eher knapp zur Verfügung und vermag selbst die niedrige Kapazität der hiesigen Rösterei nicht auszulasten.
In Thailand zog ich es vor, als leidenschaftlicher Qualitätskaffeetrinker, eine "Kaffee-Pause" einzulegen, was dazu führte, dass ich zwei Monate jeweils ohne Koffein  wach wurde und blieb. Da dort die kulinarischen Rahmenbedingungen so vielfältig und abwechslungsreich sind, kann Nescafé schnell vergessen werden. Dies ist leider auf den Philippinen nicht der Fall. So hat mich der globalisierte Nahrungsmix zwischen amerikanischem und chinesischem Fast Food wieder in ein Koffeinbedürfnis getrieben. Der Kaffee gehört nun wieder zum Tagesablauf, vor allem hier in den Bergen, wo es erstens kühl ist, zweitens die lokalen Bauern unterstützt werden und drittens der Kaffee bedeutend besser schmeckt als im Tiefland. Diese drei guten Gründe reichen aus, um den Kaffee gezielt gegen die kulinarische Depression der Philippinen-Diät einzusetzen.

Montag, 29. November 2010

SOP

Die Perle Asiens gilt für Entwicklungs- und Schwellenländer als eine relativ alte Demokratie.  Die politischen Rahmenbedingungen lehnen sich stark an das amerikanische Zwei-Kammern-System, das sich im 20. Jahrhundert etabliert hat. Verfassung und Gewaltenteilung haben es aber nie geschafft, Vertrauen in das philippinische Polit-System zu bringen. Das Land leidet an einem durch alle politischen Institutionen wuchernden Geschwür: Standard Operating Procedure, kurz SOP, übersetzt "üblicher Gang der Dinge", im Klartext Korruption!
Ich bin mit Tom unterwegs auf der frisch fertiggestellten Strasse zwischen Lagawe und Bontoc. Der Weg führt durch dicht bewachsene Steilhänge. Dort wo die Hänge etwas abflachen leuchten Gemüse- und Reisfelder. Die Passstrasse ist oft nur einspurig befahrbar, da während der Regenzeit ständig Erdrutsche die Strassen verschütten oder teilweise wegreissen. Obwohl diese Strasse erst gerade fertig erstellt wurde, hinterlässt sie bereits wieder den Eindruck einer ewigen Baustelle.
Wir halten bei einem weiteren weggerutschten Teilstück an, um der scheinbar nicht eindeutigen Ursache auf den Grund zu gehen. Doch für Tom gibt es keine Zweifel: Ein weiteres Musterbeispiel, wie öffentliche Gelder verschwinden und die Infrastruktur deshalb schwächen. Die Stützmauer wurde statt mit Zement mit Lehm vermörtelt, damit die budgetierten Zementsäcke privat verkauft werden konnten. Das Fundament unter dem Strassenbelag fehlt, weil ein Teil des Budgets in der Gemeindeadministration hängenblieb und überall wurde gespart, so dass genügend Geld in die Taschen von Bauunternehmen, Politiker und Zwischenmänner floss. Aus diesem Grund rutschten ca. 100 Meter einer Fahrbahn, 3 Monate nach der Fertigstellung, in die anliegenden Reisfelder ab. Beim zuständigen Amt heisst es "Under Investigation, maybe burst of watertube."
Solche Geschichten sind keine Ausnahme, denn zwischen 30 und 50% des Staatshaushaltes verschwindet zweckentfremdet in einem sozial stabil kontrollierten Netzwerk. Die Schalthebel der Macht auf allen politischen Ebenen sind so sicher und ständig geschmiert. Der Kampf gegen die Korruption kommt dem Anrennen gegen Windmühlen gleich.
"Good Governance" wird zur gut gemeinten Illusion, die jeden Aussenstehenden entrüstet, der den Glauben an Wohlfahrts- und Sozialstaat noch nicht verloren hat. Nachdenklich fahren wir weiter bis zum nächsten Erdrutsch und jedesmal bleibt bei mir die Frage zurück: Naturgewalt oder politisches Fiasko?

Samstag, 27. November 2010

Manila-Papier

Die Pinwand ist etwas kleiner als üblich, der Seminarraum kühl durchlüftet mit frischem Bergwind und das aufwärmende Morgenkaffee schmeckt wie üblich nach Cream-Pulver. Ich stehe mit Tom und Rolf im Bambus-Coffee-Shop und mischle im Hintergrund beim "Training Day" mit, der zum Ziel hat die lokalen Jäger zu Wanderführern auszubilden. Wir befinden uns im Norden der Insel Luzon, in einem Hochtal, das nie wirklich von den Spaniern besetzt wurde: Sabangan, ein Widerstandsnest, das immer wieder von sich reden machte, sei es beim Protest gegen ein riesiges Staudammprojekt des Marcos-Regimes oder bei der Revolte gegen eine libanesische Holz-Firma.
Rolf und Pia, Mitarbeiter der BMI (Betlehem Mission Immensee) haben hart gearbeitet, bis dieser Ausbildungstag zu Stande kam. Die Voraussetzungen stimmen heute, die meisten Interessenten für den Wanderführer-Job sind anwesend. Mit leichter Nervosität beginnt das Programm mit ca. 1 Stunde Verspätung und schweizerischen Herbsttemperaturen. Die Sicht auf den Mt. Kalawitan, der drittgrösste Berg der Philipinen, ist nach wie vor durch einen Nebelvorhang getrübt. Doch eben dieser Gipfel steht im Zentrum unseres Interessens.
Mit der Wanderung zum Gipfel ist eine Idee entstanden, die einen nachhaltigen Ökotourismus im wilden Hochtal, wo sich die Reisterrassen wie leuchtende Teppiche den Hängen entlang ausbreiten, entwickeln soll. Dort wo nichts mehr kultiviert wird, sind die steilen Hänge vom ursprünglichen "Mossy Forest" überwachsen. Ein Gebiet, dass durch unkontrollierte Jagd fast keine Säugetiere mehr beheimatet. Mit der Wanderführerausbildung sollten die zukünftigen "Guides" ihre wilde Jagdvergangenheit mit neuen Ideen verarbeiten, sodass sich das Ökosystem erholen kann.
Alle Teilnehmer sind so motiviert, dass der "schweizerische" partizipative Workshopstil sehr gut funktioniert. Das "Manila-Papier", bei uns bekannt als Flip-Charts, wird rege benutzt und konstruktiv gefüllt. Auch wenn der heutige erste Ausbildungstag ein Erfolg ist, bleibt der Weg zu einem nachhaltigen Tourismus, der sowohl eine gewisse Wertschöpfung generiert wie auch eine ökologische Aufwertung erzielt, steinig und anstrengend.
Leicht ermattet und doch noch bereit für einen Schlummertrunk werden wir am Abend zur Geburtstagsfeier des einjährigen Sohnes eines Kursteilnehmers eingeladen. Pechschwarzer Schokoladekuchen, kitschig süsser Hörnlisalat und Zuckerspaghetti umrahmen die Ginflaschen, die in der reinen Männergesellschaft herumgereicht werden. Ebenso gemütlich wie aufschlussreich sind dabei die Small-Talks der immer gesprächiger werdenden Wanderführer. Als Qualitätmerkmal des gelungenen Abends erhält Rolf am nächsten Morgen ein SMS vom Gemeinderat: "I ok still drunk"!

Mittwoch, 24. November 2010

Frost im Nachtbus

Ein weiterer Tag in Manila mit angepasstem Kinderprogramm und erschöpfendem, chronischen Sauerstoffmangel im Dauer-Chaos ist vorbei. Wir stärken uns mit einem Bier in einer improvisierten Bar, wie es wohl zehntausende, vielleicht auch hundertausende davon in Manila gibt. Der Nachtbus wartet, die 6 Kinder sind bereits darin eingeschlafen. Aber bevor wir losfahren, sehen wir uns bereits mit der ersten Panne konfrontiert: Die Klimaanlage steigt aus und der Bus wird innert kürzester Zeit zur Sauna. Deshalb gibt es nur eine Lösung: Buswechsel. Und so zügeln wir 6 Kinder im Tiefschlaf, ein schöne Ladung Gepäck und unsere schlappen Beine in den nebenan wartenden Bus. Hier erwarten uns winterliche Temperaturen und zwingen uns die von der eben erlebten Sauna schweissdurchtränkten Kleider sofort zu wechseln.
Da die Busse auf den Philippinen während der Nacht zu Kühlschränken werden, sind jeweils alle Passagiere dick eingepackt mit Mützen, Decken und Klamotten, die sonst in diesem Klima nie benützt werden. Als kältegewohnte Europäer erscheint dieses Spiel zwischen unerträglicher Hitze und quälender, frostiger Klimaanlage völlig absurd. Tom und Melanie kennen die Spielregeln und schliessen deshalb alle luftigen Löcher mit Klebstreifen zu. Die Unmöglichkeit einer feineren Temperaturdosierung erklärt sich teilweise mit den übermüdeten Fahrern, die bei zu grosser Hitze schneller einschlafen würden. Die Kinder nehmen alles sehr gelassen und die Reiseaufregung überdeckt die unwirtlichen Rahmenbedingungen.
Die Fahrt geht Richtung Norden und wir kommen nicht vom Fleck, da auch der Ersatzbus nicht aller Zweifel erhaben ist. Morgens um halb drei laufen immer noch Kriegsfilme in unerträglicher Lautstärke und ich suche vergeblich den Schlaf. Ich sehne mich nach dem kindlichen Schlaf der Gerechten. Der Bus wankt wie ein Schiff und der Chauffeur gibt nur gehemmt Gas. Kein Zweifel, da stimmt irgendetwas nicht. Trotzdem überqueren wir einen kurvigen Pass, warten da noch einmal eine Stunde wegen einer Baustelle und kommen schliesslich im Morgengrauen an eine verlassene Kaffeebar, wo wir uns aufwärmen. Kaum sind die Lebensgeister aller Passagiere langsam erwacht, fährt ein leerer Bus vor: Umsteigen bitte, und wir wechseln zum zweiten Mal mit Sack und Pack das Gefährt. Mit Murren und Achselzucken, ermunterndem aber müdem Lächeln versuchen wir uns gegenseitig für das letzte Teilstück zu motivieren.
Bei dichtem Tropennebel, frostigen Bustemperaturen und gutgelaunten, aber noch etwas müden Kindern treffen wir schliesslich mit 3 Stunden Verspätung in Lagawe ein.

Montag, 22. November 2010

Unterwasser

Zu erahnen, was sich unter der Meeresoberfläche alles abspielt, ist für den  Tauch-Laien ein Unterfangen der Unmöglichkeit. Beim Ausblick über das weite Meer liegt einem eine Parallel-Welt so fern, weil die Meeresatmosphäre über Wasser die Sinne normalerweise auslastet.
Dank unserer Unerfahrenheit in Sachen Tauchen steigen wir entsprechend naiv und ohne grosse Erwartungen ins Schnorchelerlebnis. Schon nach kurzer Zeit werden wir überwältigt von einer spektakulären Überraschung. Im glasklaren Wasser sehen wir zwar wenig Fische, die Sicht ist aber prächtig und wir folgen dem Seegras bis wir auf einen riesigen Panzer stossen: Meeresschildkröten! Und während wir völlig begeistert den ruhigen, friedlichen Kolossen zuschauen, erfährt Tom, der in unserem Haus zurückgeblieben ist, von der Putzfrau, dass vor unserer Türe eine kleine Kolonie von diesen faszinierenden Tieren lebt. So tauchen wir tagtäglich mit den neuen Freunden auf der Pandan Island, in der Nähe der Insel Mindoro, 300 km südlich von Manila.
Die Welt unter Wasser erschliesst uns ein völlig neues Universum, eine andere Sicht der Dinge, wie es jedem Taucher eben ergehen kann: Eine Welt in scheinbarem Zeitlupentempo im sich dauernd bewegenden Licht der tropischen Sonnenstrahlen, eine Welt der Schwerelosigkeit, wo Raum und Zeit sich im leichten Wellengang vergessen, eine Welt in der sich eine Vielfalt von Lebewesen in unscheinbarer Schönheit versteckt und plötzlich offenbart.
Das Staunen verlangt auch Respekt, vor allem für den sorglosen Tauchanfänger. Unverhofft erblicke ich einen bunt schillernden Fisch, der gerade auf mich zusteuert. Meine Sorglosigkeit verschwindet schlagartig, als ich merke, dass dieser mich entschlossen angreift. Verwundert möchte ich den Rückwärtsgang einschalten. Ohne mein Wille werden meine Bewegungen etwas rückartiger und ich versuche den Angreifer loszuwerden. Ich schaffe es einfach nicht ihn abzuschütteln, während dieser ständig darauf zielt, mich zu vertreiben, bis er schliesslich meinen Zehen erwischt. Ich bin verblüfft ob diesem Kampfgeist und versuche möglichst schnell an Land zu kommen. In dieser scheinbar so friedlichen Unterwasserwelt gibt es also doch ziemlich unangenehme Kerle! Was war das wohl? Bei der Tauchschule erfahre ich es genau: Ein Triggerfish, der sein Nest beschützt kann ganz schön agressiv sein Revier verteidigen und mit seinem kräftigen Kiefer sogar Korallen knacken. Deshalb bin ich im Moment froh, dass mein Zehe zwar verbissen, aber immer noch ganz und ungebrochen weiterlebt.

Samstag, 20. November 2010

ParaDies und Das

Lia hat sich seit langem eine Kinderbibel zu ihrem 6. Geburtstag gewünscht. Bis heute  ist mir dabei immer noch nicht ganz klar, von wo dieser Wunsch herrührt, da wir uns bisher nicht bewusst um eine christliche Erziehung bemühten. Lia hat aber ringsum das Thema Gott schnell erkannt, dass Religion und die damit verbundenen philosphischen Fragen nicht nur für die neugierige Kinderseele Diskussionsstoff anbieten. Seit wir auf den streng katholischen Philippinen angekommen sind, erzähle ab und zu möglichst kindergerecht, undogmatisch und bilderbeladen die Geschichten aus dem alten Testament. Wie es sich gehört steht am Anfang, die Frage nach dem Ursprung der Welt, das Phänomen des Staunens und schliesslich der Mensch im Paradies.Unter Palmen mit Blick aufs glasklare Meer hinaus auf einer winzigen Insel am Rande des südchinesischen Meeres zu sitzen macht den biblischen Paradiesgarten real. Die Kinder sind wunderbar aufmerksam, ihre Augen leuchten unschuldig. Aber die Schlange macht auch auf dieser Insel nicht halt, bzw. konfrontiert auch unsere Kinder mit den menschlichen Schwächen. Schnell ist es vorbei mit dem Paradies, es bleiben auch hier nur immer Momente des Glücks und bereits schreit wieder ein Kind, sticht eine Mücke zu oder der Durst meldet sich. Die biblische Radikalität erscheint mir irgendwie kindergerecht, denn sie nehmen Gut und Böse ebenso unverdorben auf wie auch Schicksal und Gottes Allmacht gegenüber der Menschheit. Obwohl wir auf unserer Reise Islam und Buddhismus hautnah erleben, bleibt das Christentum unser wichtigster Geschichtenspender. Ein kulturelles Selbstverständnis, das wir irgendwo und zu jeder Zeit auf dem Globus stufengerecht einsetzen können.
Der Rausschmiss Adam und Eva's aus dem Paradies ist für die Kinder eine gerechte Strafe und erklärt für uns verdorbene Erwachsenen-Geister einiges ringsum die ewige Suche nach dem Paradies, bzw. nach dem wunschlos glücklichen Zustand. Auch auf der Pandan Island scheint die Idylle auf den ersten Blick zu trügen: Die Besitzerin erzählt uns über Diebstahl, Intrigen, Alkohol, Neid und Hass und Rache, die ganze Palette von Eigenschaften und Geschichten, welche die menschliche Schattenseite aufzeigt. Das Paradies scheint nicht für den Menschen oder die Menschen nicht für das Paradies geschaffen zu sein. In diesem Bewusstsein, die kindliche Sorglosigkeit und Naivität zu schätzen, wird ebenso spannend wie schwierig, da die Vertreibung aus dem Paradies unvermeidlicher Alltag und Spiegel der menschlichen Einfalt geworden ist.

Freitag, 19. November 2010

Halo Halo

Die Philippinen sind ein asiatischer Sonderfall, der zum Verständnis ein wenig Zeit beansprucht. Zum grossen Vorteil für den Neuling sprechen sogar ungebildete Leute ein relativ gutes Englisch, sodass es einfach ist, über die Eigenheiten des Landes viele Details zu erfahren. Die englische Sprache wird zu einem Kolonialrelikt, das für eine einfache und rasche Verständigung Gold wert ist.
Bereits nach einigen Tagen und dank den heimisch gewordenen Melanie und Tom tauchen wir voll und ganz in die philippinischen Widersprüche und Kuriositäten ein. Die fremdbestimmte Vergangenheit der letzten 400 Jahre hat überall seine Spuren hinterlassen und prägt verständlicherweise das Inselvolk noch heute. Die 7000 Inseln sind trotz einem vereinheitlichten Staat und dem langen Schatten Spaniens und Amerika schwer kontrollierbar geblieben.
Als Sonntagsauflug spazieren wir in Manila durch den Zoo, wo mir Tom das Nationalgetränk "Halo Halo" als kulinarische Einstieg in die philippinische Kultur des bunten Durcheinanders vorschlägt. Die Zutaten sind auf den ersten Blick so verschieden, dass ich mir unmöglich vorstellen kann, dass dieses Gemisch tatsächlich schmeckt: Im Zucker eingelegte Bohnen, verschiedene Arten von Gelatine, die einen unappetitlichen Farbmix entstehen lassen, Kondensmilch, Haferflocken, eine Gemüseglace, und viel zerstampftes Eis, fritierte Bananen und Sojamehl-Kugeln! Es braucht eine gewisse Offenheit, sich auf diese Mischung einzulassen. Mit geschlossenen Augen geht es etwas einfacher, aber auch die Konsistenz ist sehr gewöhnungsbedürftig, sodass ich einige Zeit brauche und die moralische Unterstützung von Tom, um langsam aber sicher die ultimative philippinische Sonntagserfrischung geniessen zu können.
Während dieser doch eher exotischen Trinkerfahrung, lässt mich der Gedanke nicht los, dass die philippinische Gesellschaft sich in eben diesem Getränk widerspiegelt. "Halo Halo" ist Metapher und Erklärung zugleich, um den Einstieg in die Philippinische Welt zu schaffen.
Am Ausgang des Zoos stossen wir auf eine weitere Eigenheit des philippinischen Erfindungsgeistes, der zum Selbstverständnis einer dauernd sich selber erfindenden Nation geht. Am Strassenrand werden leuchtend eingefärbte "Bibeli" in kleinen Käfigen verkauft. Sowohl ein typisches Zeichen des Umgangs mit Tieren, wie auch Symbol des ständigen Überlebenskampfes des harten philippinischen Alltags.

Montag, 15. November 2010

Mega-Stau

Wir sitzen mit Melanie, Tom und 6 Kindern im Jeepney, das typische philippinische Sammeltaxi, und versuchen von Malate bis nach Cubao zu kommen. Nach einer halben Stunde  kapitulieren wir im Jeepney und steigen auf die Metro um. Aber überall selbst ausserhalb der Rush-Hour dasselbe Bild: Stau, Menschen, Gedränge, Bewegung, irgendwie ein rasender Stillstand. Alle wollen vorwärts kommen in diesem zähen Fluss, mit Metro  scheint dies immerhin recht gut zu funktionieren, wenn auch das Umsteigen und der Ticketverkauf eher umständlich organisiert sind.
Wir sind froh mit den "Philimelitos" (Familie Nansoz-Baumann) so quasi einheimische Führer durch diesen Grossstadt-Moloch zur Seite zu haben. Ansonsten würden wir gleich zu Beginn unseres Philippinen-Besuchs ein Manila-Trauma riskieren. Der beschwerliche Weg bis zu unserem Ziel, Cubao, dem pulsierenden Knotenpunkt der 20 Millionen-Megalopolis, stellt unsere Geduld jetzt schon auf die Probe. Bis wir ankommen sind alle schon wieder hungrig, etwas beduselt von den Menschenmassen, dem Gestank und den Bildern zwischen dekadenter Konsumwelt und absoluter Armut.
Manila ist ein Ballungszentrum bedrohlicher Superlativen: Ein sich selbst organisierendes Chaos, das trotz allen Problemen mit Infrastruktur, Energie-und Wasserversorgung, Müllbergen- und Luft- und Wasserverschmutzung, sich pausenlos aufbäumt und gegen das eigene Verderben anrennt.
Unser Spaziergang durch den heruntergekühlten Einkaufstempel ist ein Einblick in die Abgründe der philippinischen Konsumwelt. Ein Tummelplatz der Mittelschicht, die sich von oft amerikanischen oder generell westlichen Träumen ernährt. Eine Welt des Scheins und Trugs, der Kurzlebigkeit zwischen billiger Massenprodukte und exklusiven Prestigeobjekten, eine Welt der dominanten Vorherrschaft Amerikas, die langsam vom aufstrebenden China überrollt wird.
Der Rückweg in unser Hafenquartier wird zum "Manila-Feierabend-Erlebnis". Die sonst schon dicht gefüllten Strassen, Über- und Unterführungen beginnen überzuquellen. Wir stecken in einem unübersichtlichen Ameisenhaufen, der an Tempo und Hektik jede Minute zulegt, bis die Dämmerung die Bewegungen je nach Stadtviertel wieder etwas beruhigt. Auf gewisse Verkehrsadern steht alles still, es qualmt, hupt und lärmt: Mit 2 Kinderwagen und 4 hungrigen und müden Kindern kämpfen wir uns über die bröckelnden Gehsteige an gegrillten Maiskolben vorbei, weil wir wissen, dass eine Taxifahrt jetzt vermutlich doppelt so lange dauern wird. Die Kinder nehmens locker, wir versuchen es ebenso zu bleiben und schweissverklebt und zu eingeräuchert vom Smog am Rande der Mobilitäts-Apokalypse.

Freitag, 12. November 2010

Bangkok Post

Für den passionierten Papier-Zeitungsleser bringt die Grossstadt wieder einmal das Knistern eines Grossformats zwischen die Finger. "Bangkok Post" ist der Name, der im Nzz-Schriftzug die Frontseite meines Zeitungsfundes überdacht. Die Monsun-Flut und die politischen Unruhen im angrenzenden Burma dominieren die Schlagzeilen. Auf der Suche nach einigen internationalen Neuigkeiten bleibe ich vorwiegend im asiatischen Raum hängen. Europäische Themen scheinen sekundär. Der asiatische Blick verharrt im engeren geografisch-politischen Umkreis. Es sei denn, es handelt sich um europäische Staatsbesuche wie Barak Obama in Indonesien oder David Cameron in China oder um die Themen Börse und Wirtschaft, wo die Globalisierung vollendet scheint. Immer noch diese Währungsdebatte mit den USA, Auf- oder doch eher Abwertungen, Schuldenberge und -täler, Hypotheken und Zinsen, immer das gleiche, monotone Lamentieren in der Finanzlandschaft. Irgendwie fehlt der Biss, die Ironie und die Phantasie, um Lust auf Zeitungslesen zu kriegen. Falls hier überhaupt gelesen wird, scheint das Internet die kreativen Zeitungen zu vertilgen. Auch unter Reisenden läuft selten einer mit Zeitung herum, viel öfter doch mit Iphone oder Mini-Notebook. Trotzdem die Bangkok Post verbirgt noch einiges:
Das Thema Fischerei scheint nationale und internationale Schlagzeilen zu machen. Gestern haben die Fischer im Zentrum Bangkok demonstriert. Gleichzeitig nimmt die Leerfischung des Meeres vielerort dramatische Ausmasse an. Dazu finde ich ein Bericht über Malaysia. Der Kulturteil ist mit hässlicher Werbung zugkleistert und trotzdem ist dies der mit Abstand internationalste und abwechslungsreichste Teil, denn in den abschliessenden Business-Seiten bleibt nur noch die Wirtschaftsmacht China das Thema.
Aktualität aus dem Blätterwald würde aber eher farblos daherkommen, hätten wir heute nicht mindestens die Stimmung der Thai-Metropole mit dem Tuk-Tuk erkundet: Da liegen die Sandsäcke zu Tausenden am Flussufer, das von der Flut stark beieinträchtigt wurde, da sind die Fischmärkte in der Krise, da dominieren Riesenplakate mit Illusionen aus der Finanzwelt, da sind die Zeremonien zum 12. November, ein grosser Feiertag für den Buddhismus, aber nirgends sehe ich Zeitungsverkäufer. Diese Zeit ist wohl vorbei.