Montag, 28. Februar 2011

Der Königspalast

Franz Kafka's "Das Schloss" gehört nicht nur zu den schwierigeren Werken der deutschen Literatur, das Werk ist auch eine tragisch-komische Metapher für den kuriosen, unvorhersehbaren Lauf der Dinge. Für Kafka's tragischen Helden wird das anfänglich so banale Unternehmen, zum Schloss zu gelangen, allmählich ein unmögliches Unterfangen. So kann es einem überall und zu jederzeit ergehen, auch auf Reisen.
Der Königspalast Luang Prabang's bildet das symbolische und architektonische Herz der Stadt, umgeben von den vielen, sehr alten Tempelanlagen. Für jeden Besucher der Stadt gehört dieser Bau, der zu einem eher schlichten als prunkvollen Museum umgenutzt wurde, zum absoluten Muss des Touristen-Programms. Seit die kommunistische Revolution 1975 die Monarchie in Laos beendet hat, blieb hier nur noch wenig übrig von einstigem königlichen Glanz. Trotzdem bleiben die vergangenen Zeiten in den gut erhaltenen Mauern noch so präsent, dass sich ein letzter Hauch von Monarchie hartnäckig in der Altstadt behauptet.
Auch wir wollen uns einen Besuch nicht entgehen lassen, denken wir. Doch bald merken wir, dass dieses Unterfangen uns irgendwie entgleitet. Der erste Versuch fällt den kurzen Öffnungszeiten, der zweite einem Feiertag und der dritte einem kollektiven Hungerast unserer Mädchen zum Opfer. Nach diesen gescheiterten Versuchen, den Königspalast zu erreichen, schwindet unser Interesse an einem Besuch zusehends. Wir rutschen in die Tempelwelt und den provinz-städtischen Alltag hinein, sodass sich unsere Aktivitäten immer weniger am touristischen Angebot orientieren. Wir leben uns, ebenso wie sich Kafka's Held unter die Dorfleute mischt, immer mehr ins Quartierleben ein.
Kafka's Schloss und unser Königspalast dienen dem Reisenden, jenen Moment zu verstehen, wo die Normalität und der Alltag langsam Überhand nehmen gegenüber dem Aussergewöhnlichen, dem "Ausnahmezustand". Der Fremde rutscht dann nämlich in eine Realität, von der er sich zuerst als Aussenstehender abgegrenzt fühlte. Von der Aussenansicht eines Ortes wechselt er zur Innenperspektive. Weder Stadtplan noch Kamera gehören zu seiner Ausrüstung, sondern Einkaufskorb und Pendenzenliste. Die Ferne oder Unerreichbarkeit des Königspalasts stehen für das Entstehen einer neuen Normalität, einer anderen Wahrnehmung der Dinge, der Menschen und der Zeit.
Weder unser Königspalast noch Kafka's Schloss dienen aber als vollendete Metapher: Kafka's Geschichte bricht nach längeren Dorfgesprächen weit entfernt vom Schloss ab und wir besuchen den Königspalast kurz vor unserer Abreise doch noch, fast zufällig...

Samstag, 26. Februar 2011

Reisesinn Part II




Warum reisen wir mit Kindern? Ist doch die Kinderwelt noch so klein, dass der Ort des momentanen Aufenthaltes meist sekundär hinter existenzielleren Sorgen steht. Was können wir den Kindern mitgeben aus Eindrücken und Erfahrungen unterwegs? Wie können wir auf die alters- und entwicklungsbedingten Bedürfnisse eingehen? Kann denn das "Unterwegssein" den Kindern überhaupt Freude bereiten, oder ist der Wunsch und die Lust des Reisens schliessliche eine Angelegenheit der Erwachsenen? 
Die meisten Kinder im Vorschulalter sehnen sich eher nach Konstanz, Gewohnheiten und  Bekanntem als nach Abenteuer und Exotik. So halten uns die Bedürfnisse der Kinder auf dem Boden der Alltagsrealität: Schlafrhythmus, Essgewohnheiten und Spieltrieb sind Konstanten, die wir in Luang Prabang genauso akzeptieren müssen wie in Kehrsatz oder Ushuaia. 
Deshalb ist es unterwegs nicht immer einfach den unterschiedlichen Ansprüchen von junger und älter gerecht zu werden. Zu den altersbedingten Unterschieden gesellen sich zusätzlich die individuellen Charakterzüge der Kinder, die unweigerlich zu hartnäckigen Interessenkonflikten führen. So drängt sich die Frage auf, was das Langzeitreisen mit kleinen Kindern spannend macht. 
Der Sinn des Reisens mit Kindern liegt im Entdecken von neuen Orten, Menschen und Lebensformen. Durch den Rhythmus des Ankommens, des Einlebens und Verabschiedens entsteht eine dynamische Wahrnehmung der Zeit. Durch die ständige Bewegung, wird die Vergänglichkeit des Daseins, sowohl in der Natur wie auch in den menschlichen Machenschaften und Beziehungen bewusst. Flexibilität in Sprache, im Umgang mit kulturellen Symbolen und religiösen Traditionen üben die Kinder ebenso wie Toleranz und Geduld gegenüber dem Fremden und "noch Unbekanntem". Die Konfrontation mit dem "Anders-Sein" ist allgegenwärtig und wird quasi zur Normalität.
Auch wenn die Kinderwahrnehmung bis zum 6. Altersjahr viel stärker von Emotionen als von kritischer Vernunft gesteuert ist, fliessen viele Fragen in die "Warum-Phase" ein. Vor allem Lia fordert uns diesbezüglich immer wieder heraus. 
Die meisten Frage-Themen erreichen uns auf den Spaziergängen durch den Alltag: Der Umgang mit dem Tod, die Beziehungen zu den Tieren, die Dauerpräsenz von Buddha oder die Armut auf der Strasse und Feste und Feiern in den Hinterhöfen. Sowohl wir, wie auch die Kinder sind gefordert Emotionen und Erklärungen irgendwie unter ein Dach zu bringen. All dies bringt uns zum Sinn des Reisens mit Kindern: Interkulturelles Verständnis leben, fördern und gestalten im Fluss des Unterwegsseins, des Aufnehmens und Loslassens.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Geisterhaus




Er sei gross und schwarz gewesen und habe einen langen Stecken bei sich gehabt. Er habe Simea in den Arm geklemmt und sie habe ganz fest Angst gehabt. Danach sei sie sofort zu Simea gegangen und habe sie von dem bösen Geist weggezerrt. So erzählt mir Lia heute Morgen ihren Geistertraum.
Die Geister begleiten uns hier Tag und Nacht. Jeden Morgen pflegen wir unser Geisterhaus im Garten, geschützt unter Palmen und Tamarinden. Eine Kerze, ein Räucherstäbchen und manchmal noch ein Blume oder eine Opfergabe aus der Stadt werden von den Kindern in einem veritablen Morgenritual sorgfältig beim Häuschen platziert. Fast überall finden wir diese Orte der Geister, für welche mit viel Liebe jeden Tag gesorgt bzw. geopfert wird. Sowohl in Thailand wie auch in Laos sind diese Geisterhäuschen ein wichtiger Bestandteil der Alltagskultur.
Dieser Kult rührt in Laos vom Geisterglauben, der immer noch weit verbreitet ist und sich mit dem Buddhismus seit Jahrhunderten gut arrangiert hat. Die buddhistische Toleranz hat den Geistern ihren Platz im laotischen Alltag bewahrt. So spielt die Geisterwelt eine wichtige Rolle im sozialen Gefüge und dessen Gleichgewicht in Haus und Hof, in Familie, Quartier und Dorf. Oft werden die Geister mit Nahrung versorgt, da sie ansonsten die Menschen besetzen. Dies äussert sich dann oft in Krankheit oder Streitigkeiten. Neben dieser "sozialen" Rolle stehen die Geister auch mit den Naturgewalten im Bunde, sodass ebenso für Wetter, Reisfeld und Wald Geister zuständig sind.
Die Geister, hierzulande genannt "Phi", sollen fern vom Haus gehalten werden. Sie bewohnen oft Bäume und wirken meistens als Schutzgeister, wenn sie den nötigen Respekt der Menschen empfangen. Bei unserem Guesthouse ist ein Häuschen für die Hausgeister und eines für die Quartiergeister im Garten platziert. Im Haus drinnen, im obersten Stock, thront das Buddhahäuschen, das ebenso mit Blumen und anderen Gaben regelmässig versorgt wird. Dies zeigt uns, wie harmonisch Buddha mit den "Phi" zusammenlebt...
Der Geisterglaube hat sowohl den Buddhismus wie auch den Kommunismus in Laos überlebt und erfreut sich heute einer breiten Verankerung. So mischen sich die guten und bösen Geister selbstverständlich in den rituellen Jahreskalender. Das laotische Neujahr ist ebenso animistisch geprägt wie auch das bekannte Raketenfest.
Nuk, unser liebenswürdiger Patron des Hauses, ist ein leidenschaftlicher Florist. Er führt die Kinder in die Palmblättertechnik zur Herstellung von Opfergestecken ein. Der Garten ist voller Blumen und Blätter, die uns unmittelbar versorgen. Schon bald stehen die kleinen Kunstwerke in den beiden Geisterhäuschen und werden umweht vom Duft der Räucherstäbchen. Auf die Frage, inwiefern unsere Dienste der hiesigen Geisterwelt dienen, antwortet mir Nuk: "Die Geister wirken auf alle, sie verdienen von jedem Respekt." Mindestens für heute sollten uns die "Phi" gut gesinnt sein.

Montag, 21. Februar 2011

Heimatklänge



Die abendlichen Klänge über dem Nam Khan River sind gedämpft. Der Keilriemen des kleinen Kieswerks nebenan ruht dank einer Panne. Die spielenden Kinder am gegenüberliegenden Ufer lachen, kreischen und johlen. Die Stille der Nachmittagshitze wandelt sich nur langsam in kühlere Klänge. Die Zeit ist reif für eine musikalische Premiere im Fluss: Zu Beginn etwas zaghaft, dann zusehends entschlossener legen sich die fremden Klänge meines Schwyzerörgelis über die Wasseroberfläche. Die Köpfe drehen sich teils erstaunt und befremdet, meist aber neugierig. Schon stehen die ersten Kinder auf der kleinen Sandinsel, von der die urchigen Klänge die Umgebung verwirren. Kinderlachen mischt sich in den Takt. Die ungewohnten Geräusche werden schnell als willkommene Abendunterhaltung aufgenommen.

Beim fast schon meditativen Örgele spüre ich diese Bodenhaftung, die mir Ruhe und Ausgeglichenheit in den verschiedensten Milieus spendet. Als ob diese musikalische Verwurzelung Gefühlen Ausdruck verleiht, die ringsum den Globus geteilt werden: Eine Kultur-Brücke, mit den Pfeilern der Tradition und der Architektur eines musikalischen Gedächtnisses, die von Herz zu Herz verstanden wird.
Mein Kundtun schweizerischer Volkstradition geht einher mit der Suche nach hiesigen Volksliedern. Laos ist dazu bestens geeignet, beschränkt sich doch westliche Musik auf jene Orte, wo sich nur Ausländer aufhalten. Die kulturelle Verbundenheit mit Nordthailand ist in der Musik unüberhörbar, da sowohl Thai- wie auch Lao-Volksongs die melodiöse Landschaft hier prägen.
Im Musikgeschäft finde ich zwar die mir empfohlenen Titel nicht. Die zierliche, hübsche Verkäuferin versteht mit einigen englischen Wortfetzen meine Wünsche aber so gut, dass ich schliesslich 3 Dutzend laotische und thailändische Songs finde. Obwohl der Musikgeschmack der Jugend eher richtig Soft-Pop driftet, überdecken die einheimischen Klangspuren noch immer den westlichen Einfluss.
Mein kleines "Ständli" am Fluss verliert sich in eine regelrechte Übungsstunde mit gross und klein. Ich schliesse die Augen, ziehe und stosse, atme ein und aus und lasse die Bässe in den Klangteppich der Dämmerung eintauchen. Diese Töne spenden sowohl Schatten bei emotionaler Überhitzung, wie auch Zuflucht in nostalgischen Augenblicken.

Sonntag, 20. Februar 2011

Reisesinn Part I

  Reisen ist eine Angelegenheit für alle Sinne, ein sinnliches Erlebnis im Fluss der Neugier, der Sehnsucht und des Sich-Treiben-Lassens. Den 5 oder allenfalls 6 Sinnen der Wahrnehmung liegt aber auch der eigentliche Sinn des Reisens zu Grunde, falls es denn einen solchen gibt. Dieser vermeintliche Sinn entspringt unserer Gedankenwelt und wurde in der abendländischen Philosophie oft abgegrenzt gegenüber der sinnlichen Wahrnehmung. Nicht so im Buddhismus: Da gehört das Denken quasi als ein gleichgestellter Kollege zur Palette der Sinneswahrnehmung. Der Geist wird dadurch weder in einen kartesianischen Dualismus noch in ein platonisches Paradies gedrängt.
Während bei kurzen Ferienaufenthalten der Sinn des Reisen mit Erholungssuche oder Entdeckergeist relativ bald beantwortet ist, stellt sich die Frage beim Langzeitreisenden schon viel hartnäckiger. Das längere Unterwegssein ist anspruchsvoller für Körper und Geist, konfrontiert einen mit existenzielle Fragen und entblösst auch Sinn und Unsinn des Reisens. Schon öfters hat mich die sinnentleerte Sichtweise der Reisenden nachdenklich gestimmt. Eine vergnügungssüchtige, ständig nach dem letzten Kick suchende Reisegeneration ist herangewachsen und lässt mich älter fühlen, als ich meine, dass ich es bin. Diese junge, mobile, völlig globalisierte Mittelschicht ist zu vielfältig und vielschichtig, um sie pauschal zu verurteilen. Meine südostasiatischen Erfahrungen der letzten Monate deuten aber auf erschreckend viel Langeweile und Konformität wie auch Einsamkeit und Ideenlosigkeit bei dieser vom Wohlstand verwöhnten Generation hin. Der Sinn ist da oft abhanden gekommen, da Fragen anstrengend sind und schnell zur unbeliebten "Partybremse" werden.
Beim Langzeitreisen mit Kindern, was nach wie vor eine grosse Rarität ist, sind Sinnfragen kindlich präsent oder erübrigen sich im unmittelbaren Alltagsrhythmus. Wird doch überall auf der Welt durch das Kinder-Haben und -Sein Sinn produziert: Sinnproduktion durch Reproduktion oder Tod der Sinnkrise durch Geburtenglück. Vielleicht müssten wir uns da keine Sorgen machen und zusätzliche Fragen stellen. Doch dem sensiblen Bewusstsein reicht dies natürlich nicht und vielleicht gerade wegen dem Sinn des Kinder-Habens und -Seins lohnt es sich weiter zu fragen. Übersichtliche, einfache Antworten zu diesem Thema sind im postmodernen Setting selten geworden. Trotzdem haben die manchmal  ekelhaften Sinnfragen nicht ausgedient. Ich werde einige Antworten lancieren.

Freitag, 18. Februar 2011

Es klebt im Körbchen



Überall stehen die geflochtenen Bambuskörbchen am Strassenrand bereit, die von knieenden Frühaufstehern betreut werden. Darin verbirgt sich die zentrale Nahrungsgrundlage der Laoten, die auch als Opfergabe einen zentralen Status innehat. Alle warten auf die vorbeiziehenden Mönche, die bald aus dem Morgengrauen auftauchen. Mit ihren silbernen Opferschüsseln und den orangefarbenen Tüchern bilden sie eine Art Leuchtwurm in den noch blassen Farben der Altstadt Luang Prabang's. Erstaunlich motiviert reihen sich unsere Mädchen in die Menge der Knienden ein, um mit ihren Sticky-Rice-Körbchen und ein paar Süssigkeiten an der alltäglichen Opferzeremonie teilzunehmen. Die drei opfernden Blondinen werden auch hier schnell zur Attraktion und umringt von Neugierigen und etlichen Kameras. Eine eher skurile Paparazzi-Stimmung löst sich glücklicherweise bald auf dank den  Hunderten von meist jungen Mönchen, die sich durch die Altstadt Luang Prabang's schlängeln. Mit Eifer und Konzentration formen die Mädchen ihre Reisballen, um sie in die Opferschüsseln zu verteilen. Die Mönche sind ruhig, die Opfernde andächtig und die Stimmung würdevoll. Da die meisten Opferbehälter schnell gefüllt sind, bleibt noch genügend übrig für die nebean wartenden Kinder. Es bleibt den Mönchen vorbehalten, den Bedürftigen die Opferüberschüsse zu verteilen.
Der "Sticky Rice" bildet nicht nur die Basis dieses Opferrituals, er ist auch die zentrale Nahrungsgrundlage im laotischen Alltag. Obwohl er in vielen Ländern Südostasiens verbreitet ist, spielt er nirgends diese dominante Rolle wie hier in Laos. Der weltweit höchste Pro-Kopf-Konsum widerspiegelt sich in den verschiedensten Kombinationen im kulinarischen Alltag: Ob mit Fisch, Fleisch, Gemüse oder Kokos, Mango und Durian, Hauptsache es klebt. Eben dieser klebrige Umstand hat auch dazu geführt, dass der "Sticky Rice" zum Z'Nüni- und Z'Vieri-Hit unserer Mädchen avancierte. Deshalb haben sie nun immer ihre kleinen Bambuskörbchen dabei, um sie je nach Bedarf in den Strassenküchen wieder aufzufüllen. Sogar Enya macht da selbständig mit und bestellt unermüdlich "icki-reiss, icki-reiss". Hauptsache es stopft, es klebt und jeder hat sein eigenes Esskörbchen. 

Donnerstag, 17. Februar 2011

Same Same

Oft hören wir auch in Laos, die in Thailand schon fast überstrapazierte Redewendung: "Same Same ... but different." Was in Thailand geschickt als "Way of Life" kommuniziert und vermarktet wird, gilt hier in Laos ebenso. Dank der fehlenden Kommerzialisierung erscheint uns der Spruch sogar noch authentischer als beim grossen Nachbarn. Was ursprünglich nicht mehr und nicht weniger als "ähnlich" bedeutete, wird nun in den unterschiedlichsten Szenen und Situationen als passender Kommentar oder erlösende Antwort beidseits der Grenzen eingesetzt.
"Same Same... but different" bleibt bei genauerem Beobachten und Nachforschen keineswegs nur eine oberflächliche Floskel . Es kann durchaus eine Lebenseinstellung daraus abgelesen werden, die Toleranz und Gelassenheit mit Kreativität und Mut verbindet. Hat sich doch anscheinend die Bedeutung  in den letzten Jahren von "ähnlich" hin zu "anders" entwickelt. Das heisst, dass das Motto zusehends für kulturelle Eigenart oder "thailändische, bzw. laotische Kuriositäten" verwendet wird. So können schlafende Tuk-Tuk-Fahrer, überfüllte Transportmittel oder Mönche mit Mobiltelefonen ebenso mit diesem Kommentar bezeichnet werden wie lachende Schnapsbrenner oder scherzende Polizisten. Immer wieder stossen wir auf diesen ebenso banalen wie meist treffenden Kommentar, der von niemandem und allen verstanden wird. Auch wenn die Sprachkenntnisse bei hartnäckigerem Nachfragen an den Anschlag kommen, dient der Spruch für Erleichterung und Lockerheit.
Manchmal kriege ich den Eindruck, "same same... but different" wird als Entschuldigung oder Lückenfüller so beliebig eingesetzt, dass der Sinn beinahe abhanden kommt. Der eigentliche Wortsinn könnte durchaus auch als inspiriendes Leitmotiv interkulturellen Austausches dienen. Plädiert doch der stets mit Lächeln und Freundlichkeit verbundene Ausspruch für Toleranz gegenüber Andersartigem oder Speziellem.
Für die Kinder ist diese Toleranz eigentlich selbstverständlich, gehört doch die Neugier und das Staunen gegenüber Neuem und Unbekanntem zum Reisealltag. Wenn es aber darum geht sich selbst im Fremden einzuordnen, dann hegt Simea einen eindeutigen Wunsch, den sie kürzlich geäussert hat: "Mama, ich möchte nicht mehr weiss sein, sondern braun, so wie alle anderen Kinder." Sie hat das ständige Auffallen langsam satt und sehnt sich nach der erlösenden Ähnlichkeit. "Anderssein" und die damit verbundene Aufmerksamkeit sind zwar spannend aber auch oft auch ermüdend.

Sonntag, 13. Februar 2011

Grünfutter

 Grell blendet uns das Grün entgegen, das hinter dem Schulhof des Waisenheims leuchtet. Die Salatbeete sind gut gepflegt, die Kräuter gedeihen üppig und die Erde scheint gut gewässert. Hinter dieser Gartenanlage steckt ein pädagogisches System, das die hiesige Suppen,- und Salatkultur widerspiegelt: Jeden Morgen um 6.00 werden die Beete von den Schülern gewässert und gepflegt, um schliesslich die Ernte regelmässig an die hauseigenen Küche zu verkaufen. Das Kleingeld reicht aus, um neue Saat und ein wenig in die eigene Tasche zu streuen. So umgibt ein riesiger Gemüse,- und Kräutergarten das Areal, dankdem Disziplin, Verantwortung und Gesundheit in den Schulräumen wächst.
Die Unmengen von Grünfutter, die in der laotischen Küche für gesunde Kost sorgen, erleben wir hier tagtäglich in den Suppen, Salaten und eigentlich fast in jedem Gericht. Auch das Bild dem Mekong entlang oder in den Aussenquartieren der Stadt bestätigt diese ausgeprägte Krautküche. Überall schmücken Gemüsegärten die Umgebung und Körbe voller Grünzeug dominieren die Marktfarben.
Es hat eine Weile gedauert, bis wir diese Krautkultur richtig begriffen haben. Schliesslich gelingt einem das nur, wenn man nicht in den Restaurants die Ballaststoffe sucht. Denn der Graben zwischen Strassenküche und Touristeversorgung klafft hier noch viel tiefer als im benachbarten Thailand. Das Lao-Essen in den Restaurants ist nicht nur eher teuer, auch sind die Portionen für uns ungewohnt bescheiden und Vieles kommt irgendwie unnatürlich, für Ausländer aufgemotzt daher. Deshalb essen wir nur noch Reis,- oder Nudelsuppen mit Bergen von Grünfutter zum Morgenessen. Dies ist nicht nur gesund, sondern es macht auch Spass, die Suppen selber individuell zu gestalten. Koriander, Schnittsalat und Frühlingszwiebeln verkrauten sich dann mit Bohnen, Pfefferminzsorten und Spinatblättern. Auch Sojasprossen, Chinakohl oder Knoblauch fehlt nicht und stimmen mit Kresse, Lattich und Limonen in den grünen Chor ein. Die Kinder schleppen dann noch Blüten und Kräuter aus dem Wald, wo kulinarisch Verwertbares in Hülle und Fülle wächst. Auch Lia und Simea kennen bereits etwas dieser essbaren Flora, was sie auf Streifzügen durchs Grün mit den Einheimischen gelernt haben. 
Nach anfänglichen Schwierigkeiten, haben wir die kulinarische Kurve nun doch noch gekriegt, sodass die beiden Vegetarierinnen Lia und Simea voll auf die Rechnung kommen. Einzig Enya als unermüdliche Fleischkatze hat noch etwas Mühe mit der grasig-grünen Kost. Da sich bei ihr die Empathie gegenüber den Tieren noch in Grenzen hält, bleibt sie bisher fast nur an Eiweissen interessiert...

Samstag, 12. Februar 2011

Warum sie so arm sind

Die Armut ist umso einprägsamer desto krasser die Gegensätze zwischen dekadentem Luxus und alltäglichem Überlebenskampf sind. Dies wird auch dem naiven Kinderblick bewusst und so erleben wir hier dank dem gänzlichen Fehlen von offensichtlichem Reichtum eine "sanfte, ländliche Armut" ohne die Grossstadtgegensätze. Obwohl Laos beim Wohlstandsrating nach pro Kopf-Einkommen unter den ärmsten Ländern figuriert, zeigt sich uns die Armut erst auf den zweiten Blick. Umso mehr wir am Dorfleben hier teilhaben, uns so quasi in den Alltag hineinschleichen, fragen Lia und Simea immer wieder: "Warum sind sie so arm?"
Wir scheiterten schon oft, diese so wichtige Frage, einfach und kindergerecht zu beantworten. Wie können wir die komplexen machtpolitischen, soziokulturellen und entwicklungspolitischen Zusammenhänge stufengerecht herunterbrechen? Ist ein böser Präsident oder dummer König der Grund? Oder ist gar das Klima zu heiss zum Arbeiten? Oder ist die Natur zu wild für eine wirtschaftliche Entwicklung, die mit der unsrigen vergleichbar wäre? 
Ein Besuch in der Primarschule und im Kindergarten deckt schon ein Grund des Übels auf: Die meisten Kinder gehen, wenn überhaupt nur wenige Jahre zur Schule. Es fehlt an Schulmaterial und qualifiziertem Lehrpersonal. Die öffentliche Schule ist zu schlecht, als dass sie eine Grundlage für die Kinder wäre, irgendwelche Perspektiven für die Zukunft zu schaffen. Jede Ausbildung, die vielleicht etwas nützen könnte, kostet Geld, was fast niemand hat. Bei unserem Schulbesuch wir uns bewusst, wieviel Potential da brach liegt und sich nie wird entwickeln können. Lia und Simea basteln und singen im Kindergarten mit, als ob sie da zu Hause wären. Ich betrachte mit lachendem und weinendem Auge die sorglosen Kinderblicke, die unwissend in eine unsichere Zukunkft weisen. 
Laos hat in den letzten 20 Jahren eine wahre Kinderflut erlebt, was dazu geführt hat, dass sie heute die jüngste Bevölkerung Asiens aufweisen. Da über 60% der Bevölkerung unter 25-jährig ist, liegt die eigentliche Bevölkerungsexplosion erst noch bevor. Seit 3 Tagen sind wir denn auch umgeben von einer Gruppe von Dorfkindern, die uns auf Schritt und Tritt verfolgen, um Enya zu tragen, Simea die Hand zu halten und vor allem mit Lia zu spielen. Das Lachen, die Sorge um die Kleinsten und das unverdorbene Staunen lassen uns die Armut fast vergessen. Wir sind versucht, jegliche Gegensätze zu verdrängen, um die ländliche Kinderwelt intakt zu lassen.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Ausschlafen

Körper und Geist brauchen eine gesunde Mischung von Anspannung und Entspannung, um vital und dynamisch zu bleiben. Metaphern gibt es genug, um diese praktische Erkenntnis zu untermauern. Sei es beim Bogenschiessen oder beim Harfenspiel, die richtige Spannung entscheidet über Harmonie und Treffsicherheit. Die Laoten scheinen bei diesem Spiel vorallem die Kunst der Entspannung zu zelebrieren. Überall stossen wir auf schlafende Menschen zu allen Tageszeiten. Ob Tuk-Tuk-Fahrer, Bankangestellter oder Reisbauer, alle schlafen, sobald nicht gleich Arbeit ruft. Und weil es oft fehlt an Arbeit, gibt es genügend Raum für Entspannung. Ist dies ein Zeichen von Unterentwicklung, ein Relikt aus kommunistischen Zeiten oder einfach ein "Way of Life"? Nehmen wir Buddha's Worte Ernst, dass das Leid der Welt der rastlosen Geschäftigkeit entspringt, können wir dieses laotische Dösen auch als Lebensqualität verstehen. Eine Lebensqualität, die sich in keinen Statistiken äussert, da sie sich weder in Pro-Kopf-Einkommen noch in Produktivitätswachstum ausdrücken lässt. 
Zur Langsamkeit von Laos gesellt sich also eine Schlummer-Mentalität, die inzwischen unseren Alltag hier prägt. So haben gestern Lia und Mei vergebens auf den Fährmann gewartet. Dieser schlummerte unter einem Tamarindenbaum am anderen Ufer. Deshalb mussten sie den Fluss zu Fuss und schwimmend überqueren, was dank der momentanen Trockenzeit ohne grosses Risiko möglich war. Wir befinden uns zur Zeit im Elefantencamp, ca. eine halbe Std. ausserhalb Luang Prabang's. Die Geschäftigkeit hier auf dem Lande ist auf die wesentlichen Grundbedürfnisse reduziert. Die Landwirtschaft sorgt normalerweise für einen minimalen Druck, sich zu bewegen, etwas zu tun. Doch herrscht momentan Trockenzeit und auf den kleinen Parzellen im Wald sind nur wenig Leute anzutreffen. Die Nächte sind kühl und dank der mageren Beleuchtung noch etwas länger als in der Stadt, was auch uns ausgeschlafene Glieder und Gedanken beschert. Unterhaltungsmöglichkeiten, inklusive Internet fehlen, einmal abgesehen vom Fernseher, der selbst in sehr abgelegenen Dörfern die Hauptverbindung zur Aussenwelt bedeutet. Die Mobilität ist äusserst eingeschränkt und das Schlummern im Schatten scheint die beste Beschäftigung zu sein, um die Zeit aufzulösen. Im Spiegel meiner Reisebrille frage ich mich, ob das Nichtstun als Fluch oder Segen, als Tragik oder Komik, als Armutszeugnis oder Zufriedenheitsindikator zu deuten ist. Die Laoten wirken jedenfalls überall und zu beinahe jeder Tageszeit ausgeschlafen und strahlen Ruhe aus. Eine Ruhe, die sowohl beneidenswert wie auch trügerisch sein kann, kommt ganz drauf an, welche kulturellen Massstäbe wir ansetzen.

Montag, 7. Februar 2011

Elefantentakt

Gemächlichen Schrittes schreiten wir aus dem Teak-Wald zum Fluss hinunter. Über der Wasseroberfläche des Khan-Rivers ziehen die letzten Morgennebenfetzen talwärts. Tom Kun, unser 45-jähriger Elefantenbulle ist trittsicher und bereit fürs morgendliche Bad. Auf seinem Kopf wackle ich gemütlich, fast schon königlich zum Morgenbad. Während Lia bereits ihren kleinen Elefantenjunge Tong Sai besteigt, sind wir noch beschäftigt mit dem Waschen der staubigen Elefantenrunzeln. Bald sitzt die ganze Familie auf den grauen Riesen, um den Fluss zu überqueren und dann durch den Dschungel zum Fütterungsplatz zu reiten. 
Einst war Laos mit mehr Elefanten als Menschen bevölkert. Heute zählt die Population der wildlebenden Elefanten noch um die 2000 Tiere. Ebenso viele dürften als Arbeitselefanten im Einsatz sein. Der wachsende Elefantentourismus könnte zusehends einen Beitrag zur Rettung dieses sowohl kulturell als ökologisch bedeutenden Tieres leisten. Die Elefantenführer, die sogenannten Mahout's, sind  dschungelerprobte Bauern der Umgebung, die hier in den letzten 7 Jahren einen rasanten Elefantenboom erlebten. Statt die Elefanten für die Holzgewinnung einzusetzen, wurde hier jedes Jahr einige Elefanten zusätzlich für Mahout-Kurse und Elefantenausflüge ausgebildet. Dass sie sehr pflegeleicht im Handling sind, erfahren wir während unserem 1-tägigen Kurs. Lautstark üben die Mädchen die Kommandos: HAO! - Stop, BAI! - Geh, IAIA - Nein, HAB - Abliegen, SONG - Aufstehen! Schon bald sitzen auch schon Lia uns Simea auf dem Kopf und verstehen sich prächtig mit den friedlichen Vegetarier.
200 kg Grünfutter verzehren sie pro Tag, was die Haltung zu einem kostspieligen Faktor macht. Bei der richtigen Fütterung sind
sie jedoch sehr robust und wenig anfällig für Parasitenkrankheiten oder Infektionen. Wir verfüttern ihnen vor allem Ananaskraut, das zur Zeit neben der Waldnahrung als Ergänzung Kalorien bringt. Hunger haben sie pausenlos und fressen deshalb auch immer, wenn sie nicht gerade beschäftigt sind. Über das Fressen läuft dann auch jede Erziehung und Zähmung der Elefanten. Beim Fangen wilder Tiere werden sie während Tage angebunden und mit Hungerkuren und systematischer Diät gezähmt und dem Menschen fügig gemacht. Alle erklären uns denn auch, dass die grauen Kerle nur dann richtig wütend werden, wenn es an Futter mangelt.
Das Elefantenbad in der Abendsonne wird zum Höhepunkt eines spannenden Ausbildungstages. Die Elefantenführer geniessen das Rumspritzen ebenso  wie wir, denn eine Hochdruck-Rüsseldusche ist jedesmal ein Vergnügen. Das Bad mit den 10 Elefanten endet in einem regelrechten "Happening", wo alle puddelnass und durchgeschüttelt aus dem inzwischen mit Elefantenmist bespickten Flusswasser steigen. Schliesslich bringen Lia uns Simea "ihre Elefanten" in den Wald hinaus zur wohlverdienten Fress-Nacht-Ruhe, wo sie sich zwischen Bambus und Teakgehölz genauso gemächlich zerstreuen, wie sie am Morgen aufgetaucht sind.

Samstag, 5. Februar 2011

Im Waisenheim



400 Kinder wohnen hier am Rand der Stadt, wo Schule, Wohnheim und seit 2 Monaten auch eine kleine Werkstatt ein eigenes Kinderuniversum bilden. Vor uns liegt eine übersichtliche Hoffnungsinsel, die umgeben ist von einem Meer aus bitterer Armut. Arm sind sie, und trotzdem lachen sie so oft und herzhaft, dass Lia und Simea erstaunt meinen: "Die sind doch gar nicht so arm, denn sie lachen ja immer!" Tatsächlich stossen wir hier auf eine natürliche Fröhlichkeit, die denjenigen winzig kleinen Dingen entspringt, die uns nicht der Rede wert scheinen.
Wir sitzen auf den frisch lackierten Holzstühlen, die kürzlich von den begabteren Jungs in der Werkstatt zusammengezimmert wurden. Im Garten von Philip, dem Initiator dieses Projektes, ist es relativ kühl, obwohl die Temperaturen um einige Grad höher liegen als in den vergangenen Tagen. Dies sei das Ende des Winters. Dank dem spürbaren Klimawandel hat sich auch dieses Jahr die Natur früher auf die bevorstehende Hitze eingestellt als üblich. So geniessen die Jungs den kleinen Swimming Pool, plantschen und springen um die Wette und zeigen stolz unseren Mädchen ihre kleinen akrobatischen Kunststücke.
Philip's Atelier ist ein kleines Wunder, das durch eine gute Idee, praktisch ohne Geld und mit gewaltigem Enthusiasmus der Kinder geboren wurde. Es bietet den Jungs die einmalige Chance, Fertigkeiten zu erlernen, von denen sie sonst nicht mal träumen würden. Als Waisenkinder haben sie nur eine Chance, in Zukunft zu überleben, wenn sie ihr Schicksal selber in die Hand nehmen können. Ohne familiären Hintergrund, entwurzelt und ohne Ausbildung fehlen jegliche Perspektiven. Die kleine Werkstatt schafft einen Hoffnungshorizont, wo sie entdecken, zu was sie fähig sind. Es braucht wenig, um in diesen vergessenen Kinder ihr enormes, schlummerndes Potential zu wecken. Als wir mit ihnen zusammen ihre Werke betrachten, verwandeln sich die sonst so scheuen Blicke in einen gewissen Stolz. Durch unseren Kauf einer gelungenen Fotomontage mit Teak-Holzrahmen mischt sich Verlegenheit in diesen Stolz und mündet in ein so breites Lachen, dass wir in diesem Moment begreifen, warum Philip's Initiative so schnell Früchte trägt. Ein Moment Glück liegt in der Luft, flüchtig, intensiv und beeindruckend. Ein wahrlich wunderbares Geburtstagsgeschenk für den Richtung 40 steuernden Schreiberling.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Im Namen des Hasen


Der westliche Jahreswechsel nach gregoriansischem Kalender liegt bereits einen Monat zurück und die Vorsätze und Wünsche für den nächsten Sonnenzyklus sind schon länger verklungen oder gar vergessen. Das chinesischen Neujahrsfest hat soeben begonnen, um den Übertritt ins Jahr des Hasen zu zelebrieren und die Laoten müssen noch bis zum 13. April warten, um auch ihr Neujahrsfest ausgiebig zu feiern. Die Feierlichkeiten ziehen sich über einige Tage hinweg und beginnen mit dem Verkauf von alten Sachen auf dem Markt, um das alte Jahr zu verabschieden. Während Tagen werden dann möglichst viele Tempel besucht, um für's Glück im bevorstehenden Jahr zu opfern. Das wohl inzwischen bekannteste Markenzeichen des Festes ist aber eine regelrechte, landesweite Wasserschlacht, die ursprünglich eine symbolische Reinigung bedeutete.
Um diese Neuanfänge des Jahreslaufes kalendarisch einzuordnen, lohnt sich einen Blick auf die laotische Zeiteinteilung. Da in Laos aber Astrologie und Aberglaube bei den Mond- und Sonnenzyklen eine wichtige Rolle spielen, ist dieses Unterfangen gar nicht so einfach. Zudem wechseln nicht alle Volksgruppen zum selben Zeitpunkt ins nächste Jahr.  Tatsache ist, dass sich in Laos verschiedene Zeitrechnungen kreuzen. Neben der christlichen Zeitrechnung liegt die buddhistische, die jetzt 2554 nach Buddha zählt und vor allem dank Thailand in Südostasien verankert wurde. In Laos beginnt eine weitere Ära 78 nach Christi Geburt und noch eine andere, die weitverbreiteste im Lande, 638 n. Chr. Dies bedeutet, dass am 13. April ins Jahr 1371 gewechselt wird. Zudem unerliegen die Jahre 10- und 12-Jahreszyklen, die dem chinesischen Tierkreisrhythmus ähneln. Neben den Sonnenjahren richten sich die Monate nach dem Mond, sodass die 12 Monate à 29 oder 30 Tage regelmässig mit einem Zusatzmonat korrigiert werden. Was bedeutet, dass von Zeit zu Zeit jeweils zwischen dem 7. und 8. Monat einen "zweiten 8. Monat" eingeschoben wird, um mit dem Sonnenjahr in Einklang zu bleiben. Hinzu kommen 4 verschiedene Mondphasen, mindestens 7 Tageszeiten, 2 Tageszyklen zu 10 und 12 Tagen und etliche astrologische Regeln, die Gebete, Rituale sowie Pflanzzeiten festlegen: Wer soll da noch folgen können? Wahrlich eine Wissenschaft für sich, die den Ahnungslosen überfordert und dem Eingeweihten eine durchstrukturierte, über Jahrhunderte gewachsene Zeitordung offenbart.
Beruhigend wirkt da nur noch, dass alle kulturellen Versuche, die Zeit auf unterschiedliche Weise zu fassen, schliesslich den universalen Zyklen der Natur unterworfen bleiben, sodass die Macht der Zahlen ebenso der Vergänglichkeit ergeben ist, wie das menschliche Bedürfnis nach Ordnung und Orientierung. Dank Sonne und Mond werden wir uns auch im bevorstehenden Jahr des Hasen "zu Hause fühlen" und ein Jahreswechsel nach dem anderen über uns ergehen lassen.

Mittwoch, 2. Februar 2011

Bewegter Stillstand

Dass die meisten Reisenden angetrieben werden von einer Neugier, Fremdes zu entdecken, Neues zu erfahren und das bisher Unbekannte besser zu verstehen gleicht einer trivialen Tatsache. Dieser durchaus positive Antrieb führt aber zu ganz unterschiedlichen Reisetypen und Wahrnehmungsmuster und ebenso zu verschiedenen Reisegeschwindigkeiten und Planungsarten. 
Wir fühlen uns immer wieder in vielen Reisebelangen als Exoten, wenn wir den grossen Mainstream beobachten. Umso länger unsere Reise dauert, desto bewusster wird uns das unbezahlbare Privileg, Zeit zu haben. Denn die Zeit wird zum wichtigsten Kapital und gerade da happerts beim grossen Mainstream, der aus der Hektik der postindustriellen Gesellschaft entstanden ist. Immer wieder fragen wir uns auf vielleicht schon kindliche Art und Weise, wieso die Reisenden sich so schnell bewegen, wieso in einem Tag drei Orte besuchen, statt einen, wieso in drei Monaten 8 Länder abklappern statt eines. Die Jagd nach Sehenswürdigkeiten, dem letzten Kick und dem ersehnten Exotischen unterliegt einer unheimlichen Unrast, einem Tempodiktat, das Orte und Menschen vorbeifliegen lässt. Die forsche Reisegeschwindigkeit vieler Touristen lässt Skepsis gegenüber dem Reisekult aufkommen, stellt das Reisen grundsätzlich in Frage und offenbart eine Leere zwischen den sesshaften, armen, traditionell verwurzelten Laoten und den globalisierten, mobilen und reichen Temposündern bloss. Die hiesige Gemächlichkeit ist und hat System, sodass der Fremde umso eher aufgefordert wäre, zu entschleunigen und mit Grosszügigkeit die Zeit zu verschenken. Dass die Chance nur selten gepackt wird, zeigt uns die Tatsache, dass man in den Gästehäusern bereits als "long-stay" gilt, wenn man länger als 2-3 Tage bleibt.
Die Laoten beeindrucken mit ihrem Zeitkapital, aus dem ihre Langsamkeit und Geduld erwächst. Auch deshalb bleiben wir hier in Luang Prabang stehen und bewegen uns, so quasi vertikal, in die Tiefe. Wir graben in die Unergründlichkeit dieses wunderbaren Ortes, in die Geschichten des Alltags und lassen uns führen von der Windrichtung der momentanen Stimmungen. Schon nach den ersten Tagen haben wir bemerkt, dass wir hier wohl nicht mehr so schnell loskommen. Unser Fokus ist auf die Bewegung an Ort und auf die Entschleunigung des Tages ausgerichtet, ganz gemäss den hiesigen Gepflogenheiten. Insofern sind wir für die meisten Besucher hier "Zeitexoten", für die Laoten aber überraschende Westler, die versuchen ihren Umgang mit der Zeit zu verinnerlichen. Vor uns liegt ein knapper Monat, den wir so grosszügig wie möglich verschenken, um so dem laotischen Rhythmus gerecht zu werden.

Dienstag, 1. Februar 2011

Stadtmystik

Zwischen 250 und 350 Treppenstufen führen, je nach Wahl des Aufgangs zum Phousi Hill, der majestätisch über Luang Prabang wacht. Ein kleiner Tempel überragt den Gipfel mit goldenem Spitz und reckt sich gegen den momentan leicht bedeckten Himmel. Seit wir hier angekommen sind  steigen Mei oder ich jeden Morgen in der Morgendämmerung durch den geisterhaft anmutenden Wald empor bis zum magischen Aussichtspunkt über der Stadt. Durch das Morgengrauen schwebt ein gedämpfter Klangteppich über der Altstadt. Die Hähne krähen, Hundegebell hallt durch die Gassen und sporadisch durchbricht ein Hupen oder Veloklingeln die Stille.
Ich sitze zwischen schwarzen Felsen mit Blick Richtung Norden auf den Mekong. Kühl zischt der Wind durch das Geäst. Reglos harren die goldenen Buddhastatuen zwischen dem Gestein und blicken gegen Osten. Himmel und Wolken scheinen zum Greifen nah. Die Einsamkeit über der noch ruhenden Stadt wirkt wohltuend. Die Natur hat mit dem Phousi Hill eine spirituelle Felsenburg errichtet, wo sich die Elemente treffen. Die Höhlen sind besetzt von liegenden, sitzenden und stehenden Buddhas, buddhistischen Symbolen und meditierenden Mönchen. Überall dominiert das leuchtende Orange der Kloster-Novizen. Das Leuchten kontrastiert die eher mattgrauen Farben des kühlen Morgengrauens. 
Das dunkle Gestein wird von historischen Mauern umgeben, die als Spiegelbild für die Vergangenheit eine 1500-jährige Geschichte erzählen. Als kulturelle und spirituelle Hochburg des Landes war sie auch bis 1975 der Königssitz und ist bis heute die heimliche Hauptstadt geblieben. Das Stadtbild ist geprägt von einer Vielzahl von Tempeln, die mit ihren goldenen Stupas und den typischen tiefliegenden Dächern eine sanfte Ruhe in die sich langsam belebenden Gassen tragen. 
Beim ruhigen Betrachten steigen mir die Rauchschwaden der vergangenen Jahrhunderte durch meine nicht zur Ruhe kommenden Gedanken. Von der Ferne ertönen die Mantras der morgendlichen Gesänge. Die Inspiration des Phousi-Hill wird zu einer Energiequelle, wo seit Jahrhunderten der Buddhismus den Tagesrhythmus bestimmt. Gepaart mit dem "Genius Loci" und dessen Naturgewalten weht an diesem Ort ein ständiger Hauch von Mystik.