Sonntag, 31. Oktober 2010

Maybe

Dauerregen, Dunkelgrau und ungewohnt kühle Luft verwandeln diese Trauminseln in eine ruhige, melancholische und nachdenkliche Atmosphäre. Die Macht des Wetters hat sich über  die "dauerfröhlichen" Touristen gelegt. Viele reisen bereits ab, weil die Wetterprognosen scheinbar keine Besserung versprechen. Eine weitere Monsunfront hat uns erreicht und verlängert die Regenzeit nochmals eine Woche. Was für Kurzzeitreisende einfach Pech ist, bedeutet für uns ein Innehalten, für die Kinder eine Abwechslung zum Strand- und Sonnenalltag.
Die Launen der Natur sind die alltäglichsten und oft doch so gewaltigen Zeichen, dass Planbarkeit und Organisationsmacht des menschlichen Willens Grenzen erfahren müssen, die fruchtbare Denkpausen ermöglichen. Es muss ja nicht gleich ein Tsunami sein, der hier vor 6 Jahren alles wegfegte und 600 Todesopfer forderte. Äusserlich erinnert heute nur noch wenig an die damalige Katastrophe: einige Baustellen, Tsunami-Warntafeln und ein eine Art "Tsunami-Center". Der Tsunami als Sinnbild der Macht der Natur hat vielleicht die hier betroffenen Einwohner etwas Respekt gelehrt. Wie nachhaltig dieser tatsächlich ist, erscheint mir nicht offensichtlich bei der aktuellen Verbauung der Strände.
Eine gewisse Schicksalhaftigkeit scheint bezüglich Wetterlaunen den gesunden Menschenverstand der hiesigen Inselbewohner zu prägen. Auf meine eher doofe, aber halt doch wichtige Touristenfrage heute morgen: "How is the weather today?" antwortet mir der Fischer: "Maybe!" und lächelt. Ob er meine Frage verstanden hat oder nicht, bleibt zwar unklar, die Antwort ist aber ebenso banal wie genial und lässt mich mit einem Thai-Lächeln weiterziehen, obwohl im Hintergrund bedrohlich schwarze Wolken aufziehen.
Die bisherigen Wetterprognosen haben uns dazu bewogen, nicht mehr mit diesen zu planen. Wir nehmen nun den Himmel so, wie er ist, da das "Maybe" eigentlich die einzige zutreffende bisherige Prognose war. Das Inselwetter ist schwierig vorauszusehen, es sei denn es kommt tatsächlich eine gewaltige Front daher, wie es jetzt anscheinend der Fall ist. Der Umgang mit dem Wetter ist eine globale Herausforderung. Nicht nur weil das Wetter überall auf der Welt stattfindet, sondern auch weil die Wetterprognosen eine anthropologische Konstante widerspiegeln, die oft unterschätzt wird: Der Mensch ist auf die Zukunft ausgerichtet und plant, organisiert oder hofft und sehnt sich nach einer besseren Zukunft bzw. nach besserem Wetter. Das zukünftige Wetter überdeckt deshalb oft das momentane und meistens das vergangene. Deshalb setzen wir heute voll auf die morgigen Sonnenstrahlen, um das heutige Grau auszuhalten.

Samstag, 30. Oktober 2010

Nirgends wohnen

Morgen ziehen wir weiter. Nach 1-monatiger Sesshaftigkeit hüpfen wir eine Insel weiter, bevor wir nächste Woche wieder aufs Festland zurückkommen. Alle sind hier gut eingelebt, vor allem die Kinder. Doch es zieht uns trotzdem weiter. Die Wanderlust lässt uns loslassen vom vertraut Gewordenen hier auf Ko Lanta. Das "Zuhause-Fühlen" das uns für die Kinder so wichtig erscheint, ist nicht notwendig an einen Ort gebunden. Wir bilden als Familie eine Art Wolke, die nie ruht, sich stetig verändert und trotzdem beständig weiterexistiert. Was beim alleine Reisenden das Selbst, seine Identität ist, wird in der Familie vor allem für die Kinder das kleine Kollektiv: Eine Gruppenidentität, die auf der Wanderschaft für Konstanz sorgt. Das "Unterwegs-Sein" hat sich bei Lia schon zu einer Selbstverständlichkeit entwickelt, die durch immer neu gesteckte Ziele genährt wird. Simea sucht hingegen an jedem neuen Ort Orientierung, Gewohnheiten und Privatsphäre, die sie erstaunlich schnell auch wieder findet. Enya ist nach wie vor der sorglosen Neugier verpflichtet, wo sie überall und nirgends zu Hause ist. Und wir Eltern versuchen das Nomadisieren als Übung des Loslassens, des Ankommens und des Abschiednehmens zu betrachten. Das Reisen als "Nirgends wohnen" verabschiedet sich von den Formen des Festhaltens und des Besitzen-Wollens. Bereits sehen wir ein, obwohl wir nicht besonders viel Ballast mit uns herumtragen, dass unser Reisegepäck eigentlich viel zu gross ist. Vor allem bei den Kleidern besteht noch ein enormes Abbaupotential, solange das Klima heiss ist. So nehmen wir uns vor, langsam Unnötiges loszuwerden. Die Herausforderung der Reduktion aufs Wesentliche beginnt einmal mehr. Nirgends wohnen heisst auch, nicht an sich selbst festhalten, nicht in sich selbst verharren, sondern sich dem Fluss der stetigen Veränderung hingeben.
Das Loslösen von einem Zuhause löst zuerst Unsicherheiten aus, kann das Gefühl der Freiheit in Orientierungslosigkeit und Ohnmacht verwandeln. Es birgt aber ebenso Potential zur Erneuerung und zur Besinnung, was uns die Kinder mit ihrer spontanen Kreativität an den unmöglichsten Orten immer wieder vorzeigen. Unabhängig von Wetter, Hotelzimmerqualität oder Spielzeugmöglichkeiten: Der Augenblick versteckt immer wieder Überraschungen, die der Kinderphantasie entspringen. So wird aus dem Fusswaschbecken plötzlich eine Badewanne, ein Bananenblatt dient als Flugzeugflügel für ein Weltreise, oder die Hängematte wird zu einem Piratenschiff.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Alp auf die Insel


Beim Anblick der selten zu findenden Kühen auf dieser Insel muss ich unweigerlich an die vergangene Alpsaison zurückdenken. Ein weiterer bewegter Sommer liegt hinter uns und die Geschichten, Bilder und Kapriolen von A wie Alpauffahrt bis Z wie Zahltag sind zwar bereits in den Hintergrund gerückt, bleiben aber jederzeit abrufbar.
Unser Abreisetermin zur 8-monatigen Zwischenalpzeit fiel vielleicht nicht ganz zufällig auf den wohl wichtigsten Alpabfahrtstermin, dem eidgenössischen Dank,- Buss,- und Bettag. Bei unserer rollenden Reiseplanung entwickelte sich bald ein "ab auf die Insel" und nun sind wir seit bald über einem Monat im Süden Thailands, auf einer Insel, wo Alpspuren scheinbar nur noch im entferntesten Sinn spürbar sind. Die Kühe sind mager, Tierschutz ein Fremdwort und die Landwirtschaft darbt neben dem boomenden Tourismus dahin. Nutz- und Haustiere spielen, abgesehen von den dauerpräsenten Hauskatzen und Singvögel eine völlig untergeordnete Rolle. Bäume dominieren hier die Nutzung: Gummibaumpflanzungen, Palmölplantagen und die ganze Palette der Tropenfrüchte werden kultiviert, tendenziell eher extensiv auf kleinen Flächen in schwierigem Gelände, umgeben von dichtem Dschungel. Auch wenn alles feuchtet, grünt und spriesst, so richtig saftige Weiden sind höchst selten anzutreffen, statt Käse sind Mangos angesagt und an Brot oder Wurst denkt man besser nicht.
Um nicht zu stark in kulinarische Nostalgie zu verfallen, drifte ich gedanklich ab zur Inselmetapher des einsamen Südseeparadieses. Dabei entdecke ich unverhofft gewisse Parallelen zur Alpwelt: Sowohl Verklärung und Tendenzen zur Idealisierung des Insel- und Alplebens wie auch die Freuden und Leiden eines kleinen, klar eingegrenzten Territoriums lassen Ähnlichkeiten erkennen. Deshalb grabe ich weiter: Ab auf die Insel oder ab auf Alp? Beide können als Fluchtort, als "Utopia" sowohl soziale Experimente, wie auch Sehnsüchte entstehen lassen. Beide können sowohl Freiheit wie auch Gefangensein bedeuten. Beide sind Projektionsflächen für Zivilisationsüberdruss wie auch Repräsentanten eines nicht einfach zu bewältigenden Alltags. Und beide sind den Launen der Natur so ausgesetzt, dass die natürlichen Ressourcen schnell zur Überlebensfrage werden können.
Was auf den ersten Blick klimatisch, topografisch und kulturell so unterschiedlich erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen zu einem gemeinsamen symbolischen Knoten. Ungewillt befinde ich mich plötzlich auf einer Alpinsel oder einer Inselalp, wo mich ein Gefühl von Schicksalhaftigkeit erschaudern lässt. Aufhorchend nach einem Munggenpfiff steigt mir Mistgeruch in die Nase während der Monsun die Kokospalmen plagt. Weder Heu noch Lab dafür frische Kräuter aus dem lianenbehangenen Dickicht. Zwei Welten finden und treffen sich. 

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Mitgefühl

Es gibt Dinge, die alle Reisenden fürchten oder mindestens grossen Respekt davor haben. Dazu gehören auch die kuriosen und zum Teil gefährlichen Insekten, Würmer oder Skorpione, die sich oft unsichtbar als still lauernde Gefahren in Sand, Wasser und der Luft verbergen. In allen Reisebüchern sind sie ausführlich beschrieben und ebenso oft werden sie von Tropenärzten und einheimischen Medizinmännern erwähnt. Einer dieser berühmten kleinen Plaggeister ist der Hakenwurm, der sich oft in der Regenzeit an abgelegenen Stränden im Sand versteckt und sich durch kleine Verletzungen durch die Fusssohle in die Haut einnistet. Von dort aus zieht er dann weiter und weiter, bildet Larven und kann so bis in Lunge oder Leber gelangen.
Reiseberichte, Krankheitsgeschichten und Internetangaben tönen nicht nur beim Hackenwurm oft sehr dramatisch. Oft lösen nur schon die Beschreibungen Übelkeit und Schmerzen aus. Ist man dann selbst von einem solchen kleinen Ungeheuer angegriffen, scheint dann irgendwie alles etwas weniger panisch, obwohl meistens ein baldiges Reagieren angebracht ist.
Seit einer Woche wohnt in Lia's linkem Fuss vermutlich ein solcher Hackenwurm, der sie zusehends, vor allem in der Nacht durch einen starken Juckreiz stört. Weder Ekel, Angst oder Jammern hat dieses Tierchen bei ihr ausgelöst. Heute morgen kurz nach dem Erwachen und einer Nacht, in der sie wegen diesem Mitbewohner zweimal erwacht ist, fragt sie uns: "Tut es dem Wurm weh, wenn ich jetzt auf den Fuss stehe? Hat er nicht Angst im Fuss drin?" Wir staunen nur noch ab diesem beeindruckenden Mitgefühl, das sie einem solchen Störefried entgegenbringt und erklären kurz, dass sie sich um den Wurm keine Sorgen machen müsse und dass es ihm immer noch sehr gut gehe. Lia hat sich voll ihrem neuen Mitbewohner angenommen, sodass es auch noch einige Erklärungen braucht, wieso sie jetzt dann trotzdem eine Tablette schlucken muss, dass dieser kleine Wicht wieder rauskommt und sich verzieht.
Eher gleichgültig, denn erleichtert akzeptiert sie die Tablette, während ich über die Grenzen des Mitgefühls gegenüber Kleingetier nachdenke. Tropenkrankheiten als Übung zu mehr Mitgefühl und Gelassenheit oder eher die Sorglosikeit der Kinder als Vorbild für einen gesunden Optimismus? Wie auch immer: Eine Tablette scheint so oder so alle ein wenig zu beruhigen.

Montag, 25. Oktober 2010

Was nützen Quallen?

Lia hat eine besondere Begabung, die wohlbekannten "Warum-Fragen" der kindlichen Neugier so zu stellen, dass meine Antworten oft zu lang ausfallen. Entweder ist dies auf mein Unvermögen zurückzuführen oder eben auf die besonders geschickt gestellten Fragen. Ein "kinder-philosophischer" Dauerbrenner ist die Frage warum und wozu das Böse und das Unangenehme denn in der Welt ist. Eine ebenso tragische wie auch theologisch knifflige Frage, die vom unverdorbenen Kinderdenken zeugt. Lia beschäftigt dies momentan in der hiesigen Tierwelt und so fragt sie uns, was eigentlich Quallen, Fliegen oder Mücken nützen und wieso es die überhaupt gibt, da diese doch nur störend wirken oder sogar Schmerzen verursachen.
Ausgehend von einer Idee, dass die Schöpfung, bzw. das Universum so aufgebaut ist, dass alles Seiende miteinander verbunden, ein komplexes, funktionierendes Ganzes ergibt, ist die Frage nach dem Leiden bis in die winzige Tierwelt bedeutend. Auf der Suche nach einer Antwort treibe ich von der Evolutionstheorie bis zur speziellen ökologischen Bedeutung der Quallen. Ich komme nicht am Fressen und Gefressen werden vorbei. Der Mensch scheint sich irgendwie über diese Logik hinweggesetzt zu haben und bestimmt jetzt über Nutzen und Schaden von Ökosystemen als angeblich alleiniger König der Schöpfung.
Natürlich bleibt es eine Spielerei, nach dem Nutzen von Schädlingen und gefährlichen Tieren zu fragen. Spannend bleibt die Sache aber trotzdem, wenn es darum geht kindertaugliche Antworten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen abzustimmen. Quallen können ganz unterschiedlich genutzt werden und taugen trotz ihrem Gift sowohl für den Speisezettel wie auch für wissenschaftliche Zwecke. Die Palette reicht von Knorpelerstatz für Gelenke bis zu Kosmetika. Der Mensch kann also auch Quallen zu seinen Gunsten nutzen. Welche Beitrag leisten darüber hinaus Quallen zum Ökosystem Meer? Arbeiten sie als Indikatoren, Katalysatoren, Animatoren oder Pulsatoren?
Abgesehen vom Nutzen für den Menschen, interessiert natürlich auch die spezielle Überlebensstrategie, die seit 505 Millionen Jahren sicher funktioniert. Das Quallengift hat sich so durchgesetzt, dass die giftigste aller Quallen, die Seewespe, Menschen innert Minuten töten kann.
Lia hat zwei Bisse beim Schnorcheln erwischt, die sich hier mit Kräutern aus dem nahen Dschungel heilen lassen. Die Verbrennung klingt relativ rasch wieder ab, aber eine definitive Antwort auf ihre Frage ist noch nicht in Sicht...

Sonntag, 24. Oktober 2010

Dschungelgrün

In diesem Grün lösen sich die Jahreszeiten auf. In einer Farbe gehen hundertfach die verschiedensten Töne auf. Es tropft, und wir wandern im Fluss, dem einzigen gangbaren Weg durch das Dickicht. Angenehm kühl wirkt die leichte Strömung des klaren Wassers. Talaufwärts an Baumriesen und Lianenformationen vorbei vergessen wir die Zeit in den kleinen Wundern, die der Regenwald bereithält. Bei jedem Fund eines riesigen Käfers, eines schillernden Schmetterlings oder einer Ameisenstrasse staunen die Mädchen um die Wette. Enya's Lieblingswort ist seither nur noch Wow, Waaaaaauuuuh! Je nach Stimmung ist dann wirklich jede kleine Entdeckung ein ausgedehntes "Wauh" wert. In eben diesen kleinen Details und der immensen Vielfalt verbirgt sich ein Ökosystem, das sich oft unspektakulär zeigt, aber durch die Bedeutung seines Gesamtsystems zu einer wahren Schatztruhe wird. Grosse Säuger und spektakuläre Arten sind eher dünn gesät, dafür ergänzen sich die Kleinen, oft unscheinbaren Pflanzen und Tiere perfekt zu einem sanften, riesigen Orchester, das uns mit Pfeifen, Zirpen und Surren durch das Grün begleitet.
Unterwegs biegt ein kleiner Pfad plötzlich ab vom Flusslauf. Es soll sich da noch irgendwo eine Höhle verstecken mit Fledermäusen und Schlangen, wow... also biegen wir ab. Unweit vom Rauschen des Flusses stehen wir in einer riesigen mit Tropfsteinen und Wurzelwerk durchzogenen Grotte, die sich in den Hang hineingräbt. Mit Stirnlampe folgen wir auf glitschigem Boden den Spuren der letzten Besucher. Die Mädchen haben grossen Respekt sowohl vor der Dunkelheit, wie auch vor der Wucht des Felsens. Keine Schlange, keine Fledermaus, alles halb so wild. Draussen empfängt uns wieder ein freundlich grüner Vorhang, ein kurzer Schauer, eine wohltuende Dusche, zieht vorüber. Nach einer Stunde Flusswaten erreichen wir den langersehnten Wasserfall: Endstation für den Wanderer und "Dschungel-Spa" oder grüner Wellnessort für die wohlverdiente Erfrischung. Umgeben von Lianen, Moos und einem undefinierbaren Rattern eines uns unbekannten Waldbewohners ziehen über dem hohen Blätterdach pechschwarze Wolken für das bevorstehende Tropfkonzert auf. Ausgerüstet mit Schirm, periodisch geschützt von mächtigen alten Baumweisen schaffen wir den Rückweg mit einer schnarchenden Enya auf dem Rücken und aufgeweichten Füssen und Gedanken. Der Wald verlangt Respekt. Die hiesigen Insel-Thais wissen mit diesem fair umzugehen. Der Nationalpark, der Ökotourismus und die verschiedenen kleinen Projekte, die hier laufen, zeugen von einem nachhaltigen Umgang mit der sehr beschränkten "Inselressource" Wald. Wir sagen "Danke", spenden einen Beitrag zur Wiederansiedlung des kleinsten Hirsches der Erde, dem "Mouse-Deer", und ziehen ab.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Low Season

Wieder einmal mit dem Töff unterwegs machen wir Halt am Klong Dao Beach. Die Neugier führt uns an einen menschenleeren Strand, wo sich gerade das Meer vom angeschwemmten Müll zurückzieht. Auch hier schert man sich wenig um die von der Monsunströmung verursachten Auslegeordnung menschlicher Spuren: Low Season. Der sonst feinsäuberlich geputzte Strand hinterlässt einen eher zweifelhaften Eindruck. Junge Fischer lungern herum, ziehen sich entweder in Schatten unter die Palmen zurück oder tuckern gemächlich  aus der Bucht. Wir schlendern an scheinbar verlotterten, bankrotten oder tendenziell geschlossenen Restaurants und Bungalow-Anlagen vorbei. Es riecht nach Baustelle. Benzin- vermischt sich mit Farbgeruch, frische Farben mit frischem Fisch.
Die Menschen bewegen sich, wenn überhaupt, in Zeitlupe in dieser Mittagshitze. Kaum kommt die erlösende, abkühlende Meeresbrise gegen den späteren Nachmittag wieder auf, beginnt aber wieder eine erstaunliche, wenn auch irgendwie versteckte Geschäftigkeit. Es klopft und hämmert an allen Enden und Ecken. Dieser für tropische Verhältnisse erstaunliche Aktivismus lässt schliessen, dass die "Peak Season" nicht mehr fern liegt. Was während den letzten Monaten im Monsun brach lag oder einfach einer gewissen Gleichgültigkeit der "Low Season" zum Opfer fiel, muss jetzt innerhalb von kürzester Zeit ins Lot gebracht werden. Für uns als Nebensaison-Reisende hat die Stimmung zwei Seiten,  die schnell von Romantik in Melancholie umschlagen kann. So ziehen wir von einem originellen, wunderschön gelegenen Baumhütten-Resort wegen herumlungernden Hunden und einer völlig verwahrlosten Gartenanlage im tristen Monsungrau mit einer kleinen Depression von dannen. Weil das abgelaufene Bier nicht mehr geniessbar ist, die Toiletten seit Wochen nicht mehr gereinigt oder die Palmblätter der Dächer so tief hängen, dass sie eher wie Hängematten denn als Regenschützer wirken, kann die "Low Season" in "Low Vibes" umschlagen.
Zum Glück bewegen wir uns mehrheitlich auf der Sonnenseite der Nebensaison: Ruhe, Freundlichkeit, Zeit bei Touristen und Einheimischen, tiefe Preise, wenig Schiffs- und Autoverkehr, ab und zu ein erfrischender Regenguss, einsame Strände, Pools und Ausflüge ins Dickicht oder aufs Meer. Sowohl was wir zur Zeit erleben wie auch die Reisgeschichten, die wir erfahren, überzeugen uns immer mehr. Wir kehren nicht in der Hauptsaison nach Thailand zurück.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Meerpause

Mit dem "Longtail-Boat", dem typischen, Thai-Fischerboot fuer mittlere Distanzen, sind wir unterwegs nach Ko Ngai. Lange haben wir gewartet, bis wir diesen Ausflug endlich wagen konnten, da die See einfach zu rau war. Heute scheint das Wetter ruhiger, die See jedoch immer noch launisch. Anfänglich noch im Windschatten der Insel Ko Lanta mit leichter Brise und sanftem Wellengang, dann immer mehr im Wind und dem Sog der offenen, hohen See, durchkämmen wir das Wasser. Die Wellenberge werden immer eindrücklicher, die Täler erschreckender und die Sonne darüber unerbittlich. Unser stattliches Boot wird zur Nussschale, zum Spielball der Naturgewalt.
Die Kinder halten sich gut. Enya singt noch, Lia übt sich sogar am Steuer und Simea sucht nach Delphinen. Sobald wir wieder in den Windschatten einer Insel treten wird die See wieder zahmer, verliert an Dramatik und Kraft, sodass wir sogar einen Tauchgang mit allen Mädchen wagen können. Wir werfen einen Blick in die Unterwasserwelt, wo wir überrascht werden von einer bunten Menge von verschiedensten Fischen, in der felsigen, korallenübersäten Unterwasserwelt. Ruhe legt sich über die lichtdurchflutete, türkisblaue Arena. Lia beeindruckt mit Geschick beim Schnorcheln in der starken Strömung. Mir fehlt irgendwie die Entspannung, da die Mädchen in diesen Gewalten besondere Aufmerksamkeit abverlangen.
Die Sonne brennt trotz dem angenehmen Wind und wir ziehen weiter Richtung Ko Muk. Die Gischt spritzt über Bord, die Berg- und Talfahrt nimmt an Dramatik so zu, dass die ersten Blicke von Unwohlsein und jammernde Töne aufkommen. Vor einer beeindruckenden Felswand, wo die meterhohen Wellen in die Höhe klatschen hält unser Bootsführer und fordert uns auf, nun in die Höhle weiter zu schwimmen. Während sich beim angehaltenen, schaukelnden Boot die Stimmung bei den Girls schlagartig verschlechtert, wird auf dem Schiff heftig debattiert, ob diese Höhle wirklich eine gute Idee ist. Inzwischen schreit Simea vor Übelkeit und Enya kämpft ebenso mit dem Wellengang. Unsere schreienden Kinder überzeugen alle ziemlich schnell, vom Überbord gehen abzusehen.
Ob das Meer mal eine Pause macht, fragt Lia. Leider nein, muss ich ihr zugestehen und so erleichtert sich Simea von der eben genüsslich verspiesenen Wassermelone, sowie auch Enya einige Minuten später. Mei ist ebenso bleich wie Lia und beide können sich nur vor noch Schlimmerem bewahren, indem sie sich mit ruhigem Atem an den Horizont wenden. Das Meer kennt keine Pausen und so halten wir durch, bis wir wieder festen Boden unter den Füssen haben und die Farbe wieder ins Gesicht zurückkehrt.
Dramatik und Schönheit geben sich auf hoher See die Hand. Das Unerbittliche wie auch das Unermessliche und scheinbar Unerschöpfliche von Sonne und Meer sitzt allen im Nacken auf der windigen, goldglänzenden Heimfahrt in der Nachmittagsgischt. Ähnlich wie bei Erfahrungen im Gebirge kann die Stimmung innert kurzer Zeit umschlagen und die menschliche Winzigkeit offenbaren: Das Meer macht keine Pausen.
Ennio & Enya

Dienstag, 19. Oktober 2010

Bim Coifför

Der erstmalige Besuch beim Coiffeur ist für Lia und Simea ein aussergewöhnliches Ereignis. Was bisher bei "Umala" ein mehr oder weniger regelmässiges Ritual war, findet nun in einem thailändischen Coiffeur-Salon statt . Mir bleibt Zeit, um den Stolz und die Konzentration der Kinder zu beobachten. Das auf den ersten Blick so alltägliche Bedürfnis wird standesgemäss begleitet von Spiegeln, die dem "Patienten" auf dem Coiffeurgestühl nicht gleich auffallen, wie dem teilnehmenden Beobachter nebenan. Erinnerungen an Mani Matter's Klassiker vermischen sich mit dem surrenden Ton des Ventilators und dem Schnippseln der Schere. Es ist nicht nur ein Spiegel, sondern zwei, drei, 10, 20 und mehr und mehr und mehr bis das Zählen aufhört und das metaphysische Gruseln beginnt. Der abgründige Blick in die Unendlichkeit gilt als die universale Coiffeur-Erfahrung, die auch in Thailand nicht weniger faszinierend ist, als sonst irgendwo. Während sich die Haarpracht von Lia langsam lichtet und der Haarteppich ringsum den Stuhl dichter wird, verspiegelt es mir den Kopf, bis ich selbst zum Spiegel werde. Was absurd klingt kann zu einer echten Zen-Erfahrung mit der Wirklichkeit werden: "Ein Spiegel spiegelt sich in allen Spiegeln, alle Spiegel spiegeln sich ein einem Spiegel. Dieses Spiegeln ist die Wirklichkeit der wirklichen Welt." (Der Ochs und sein Hirte, altchinesische Zen-Geschichte)
Statt den Ort des metaphysischen Gruselns fluchtartig zu verlassen, wozu sich das "Coiffeur-Opfer" in Mani Matter's Lied schliesslich entscheidet, versuche ich den Schrecken der Unendlichkeit dieser Spiegel in das Alltagsstaunen der Zen-Philospohie zu integrieren. Dies bedeutet für den westlich verdorbenen Geist keine Leichtigkeit, sondern harte Arbeit.   Der Anblick der Spiegel füllt meine Gedanken eher, als dass er diese entleeren würde. Die Spiegel beginnen zu verschwimmen, werden so unscharf, dass ich es vorziehe, die neuen Frisuren meiner Töchter zu bestaunen. Mani Matter's Weltgefühl steht mir immer noch näher als der Zen-Blick ins ungewisse Nichts. Die zwei Blondinen betrachten sich im Spiegel. Sie sehen zum Glück nur den einen, der ihre neue Frisur in voller Pracht zum narzisstischen Spiel freigibt. Eben jenes Spiel, von dem ich mich durch die Vielfalt der Spiegel zu lösen versucht habe. Simea kümmert's wenig, dass ich mich wieder einmal intellektuell versteige. Mit erhobenem Kinn verlässt sie den Coiffeur-Laden und schaut glücklich mit selbstsicherem Blick auf die staubige  Strasse hinaus. Eine neue Frisur, frisiert wie bei den "Grossen", das lanciert den Tag neu.
Ich erwache aus meinen Gedankenspielereien durch die Wucht der feuchten Hitze beim Verlassen des Salons. Der nächste Coiffeur-Besuch kommt bestimmt, die Spiegel verschwinden nicht und es bleibt noch einige Zeit zur Übung, das metaphysische Gruseln mit dem gelassenen Blick in die Unendlichkeit einzutauschen.

Montag, 18. Oktober 2010

mangroven und gezeiten

"Mit dem Longtail-Boot" durchqueren wir die Wildnis von Ko Noi, einer unbewohnten, fast nur aus Mangrovenwald bestehenden Insel. Das Meer zieht sich langsam zurück. Wir werfen unsere Krabbennetze aus, um sie in einer Stunde wieder einzuziehen und rattern an freigelegtem Wurzelwerk vorbei durch eine scheinbare Monokultur von schwarzen Mangroven. Ein hochspezialisiertes Milieu, dass sich auf den Rhythmus der Gezeiten optimal eingestellt hat. Mit dem Absinken des Meeresspiegel kommt eine morastige Landschaft zum Vorschein, ein Universum von Kleintieren, die sich sowohl im Wasser, wie an Land wohlfühlen, bzw. clevere Überlebensstrategien entwickelt haben. Millionen von Krabben verschiedenster Grössen und Formen, Froschfische oder Fischfrösche, Larven, Spinnen und verschiedenstes tropisches Gezirpe und Geschwirre, sowie dumpfes Blubbern und helles Krächzen bilden eine Kulisse von bizarrer Schönheit. Dieses Biotop hat sich den Kräften zwischen Mond und Erde hingegeben und eine Nische geschaffen, die uns auf den ersten Blick eher lebensfeindlich erscheint. Alle 12 Stunden und 25 Minuten feiern dessen Bewohner Wasserhoch-, oder tiefstand, je nach bevorzugtem Element, zweimal am Tag dieselben Lebensbedingungen, ansonsten ständiger Wechsel im Bann von Ebbe und Flut.
Wir stossen auf Untiefen, auch für den Menschen gibt es durch diesen Rhythmus unpassierbare Passagen und manchmal böse Überraschungen. Die Zentrifugal- und Gravitationskräfte wirken in einem Kräfteverhältnis, das sich um den Schwerpunkt zwischen Sonne und Mond bewegt. Durch Mondphasen sowie durch Küstenstrukturen, Strömungen und Meerengen kommt es zu enormen lokalen Unterschieden, die wir hier in Thailand eindrücklich jeden Tag erleben. Das Meer atmet im Tagesrhythmus, zweimal ein und aus, erscheint mir die kindertaugliche Erklärung. Die Details der Gezeiten sind komplex und nicht bis ins Detail geklärt, obwohl Wikipedia ziemlich gut Bescheid weiss. Die Faszination bleibt sowohl für die angepassten Überlebenskünstler im süsssalzigen Sumpf, wie auch für die kosmologischen Kräfte, die am Werk sind, weil noch nicht alle Antworten auf die Fragen nach den Gezeiten gegeben sind.
Inzwischen sind wir zu den Krabbenfallen zurückgekehrt und Lia und ich fischen eine nach der anderen raus: Bei der ersten kommt nichts raus, bei der zweiten die erste Krabbe und bei der dritten gleich drei. Insgesamt bringen wir acht grössere Krabben zur Anlegestelle, wo uns diese bei einer lauschigen kleinen Fischzucht gleich zubereitet werden. Mit ein wenig Mitleid klauben wir das zarte, aber gut versteckte Fleisch unter den Krabbenpanzern hervor und in diesem Moment wird mir bewusst, wie genial diese Tiere ausgebaut sind, als Überlebenskünstler dieses wilden und doch irgendwie sanften Mangrovenwaldes.

Samstag, 16. Oktober 2010

7Eleven

Würste bräteln ist sowohl eine Stimmungsbombe für die Kinder wie auch ein mit heimatlichen Gefühlen verbundenes Ritual. Am Strand hat dies seinen besonderen exotischen Reiz. Ohne echte Wurstwaren, kann der Sonnenuntergang noch so schön sein, ist aber die Brätelromantik gestört. Wir versuchen, ein "cervelatähnliches" Häppchen aufzutreiben, was sich auf dieser Insel als schwieriges Unterfangen herausstellt. Vielleicht werden wir in den nächsten Tagen ja noch fündig.
"7Eleven" ist mittlerweile das unheilvolle Stichwort, mit dem wir das bisher am ehesten mit Cervelats Vergleichbarem verbinden. Allerdings sind diese "7Eleven"-Filialen etwas vom Geschmacklosesten und Unausstehlichsten, was ich im sonst kulinarisch so vielfältigen Thailand bisher angetroffen habe. Selber schuld, man geht auch nicht in Südthailand auf Cervelat-Suche, oder? Tja trotzdem, "7Eleven" ist die Kehrseite der Globalisierung, was Essgewohnheiten betrifft. Das Toastbrot, die Chips und Biscuits sowie Unmengen von Nestlé-Produkten türmen sich in einem Produktesortiment, das irgendwie skrupellos wirkt. Eine riesige Auswahl von Lippenstiften und Kaugummis sowie Milchdrinks und Fertigbackwaren füllen das unterkühlte Ladeninnere. Der weltweite Trend zum "Convenience-Food" hat dazu geführt, dass "7Eleven" inzwischen mehr Filialen zählt als McDonalds. In Thailand sind dies inzwischen 5407: Platz drei nach Japan, dem Mutterland und den USA als Ursprungsland der McDonaldisierung. Aber für den verwöhnten europäischen Konsumenten verbirgt sich da vielleicht doch noch etwas zum "Bräteln"? Und tatsächlich, da liegt so etwas wie ein Wurstgeschmack in der Luft, welcher sich anscheinend von der Ladentheke neben der Kasse ausbreitet: Da liegen lange, dünne, farblose Würstel, auf einem nach Spielzeug anmutenden Elektrogrill, die den ganzen Raum ebenso unappetitlich wie unerbittlich erfüllen. Dieser Geruch nimmt dem hartgesottensten Wurstliebhaber die Lust nach Bräteln. Allmählich will ich mich schon abfinden mit dem Gedanken eines wurstlosen Abends. Aber das Schlüsselwort "Wurstbräteln" ist den Kindern nicht so einfach durch diese grausigen, bleichen Fleischschlangen aus dem Kopf zu schlagen. Nach einem zweimaligen Rundgang durch die engen Ladengestelle überwinde ich mich den Kindern zu liebe trotzdem, ein paar vakumierte Würstchen einzukaufen.
Bald sitzen wir am Strand und die Stimmung der Dämmerung macht das Gruselsortiment, das über 39000 Mal rings um den Globus seinen Unfug treibt, langsam aber sicher vergessen. Die Würste schmecken übel, aber mit Sand und Meersalz an den Fingern fragt niemand mehr danach. Ausser Lia, bei Ihr war die Wurst am Stecken mehr Weg als Ziel, so landet sie dann wieder im Feuer, wo sie eigentlich auch hingehört.

Freitag, 15. Oktober 2010

Helm ab

Wer fragt sich nicht ab und zu bei der nicht abklingenden Sicherheitsdiskussion ringsum die Unfallprävention bei den Kindern, wann Regeln und Vorschriften beginnen zu nerven. Die Schweiz als Land der Versicherungen, Absicherungen und Zusicherungen gibt sich Stolz als teuer erkaufte Hochsicherheitsburg. Falls man nicht mitmacht bei diesem oft fern vom gesunden Menschenverstand liegenden Präventionswettbewerb beim Helmtragen, Impfen oder Schulwegbegleitplan gilt jemand schnell als verantwortungslos.
Wir satteln fernab von diesen zu oft fragwürdigen Konventionen mit zwei Motorrädern und drei Kindern zu unserer Inselrundfahrt. Enya singt hinten im Rucksack und Lia fragt, wieso man denn hier keine Helme trägt. Sie wird ständig vom Gefühl begleitet, dass hier in Thailand einfach alles erlaubt ist, die Polizisten sind so nett, Parkieren ist überall zugelassen, alle winken auf der Strasse und Helme trägt niemand, ausser vielleicht ein paar komische Touristen aus einer fernen Sicherheitszivilisation. Sicherheitsgurten gelten eher als Dekor, Verkehrstafeln fehlen gänzlich, abgesehen von den Ortsnamen und Kinder sind entweder auf dem offenen Pickup dicht gedrängt zwischen Gepäck oder sogar schon selbst am Lenkrad. Wir integrieren uns prächtig im Inselverkehr, der sehr gemächlich abrollt, oft sind die Mofas, das hiesige Hauptverkehrsmittel, mit drei oder sogar vier Kindern beladen, wir fallen deshalb also überhaupt nicht auf und denken auch selber bald nicht mehr über die Verkehrssicherheit nach.
Die Langsamkeit auf den Strassen strahlt genügend Sicherheit aus, um mit dem nötigen Verantwortungsgefühl in dieses ungeschriebene Fairnesssystem einzuklinken. Individuelle Sicherheit erwächst aus dem funktionierenden Kollektiv, das hier offensichtlich noch selbstverständlichen Grundregeln folgt. Wo sich die grosse Mehrheit weder ein Babyphone, noch ein Kindersitz leisten kann, wird auf den gesunden Menschenverstand gesetzt. Somit entstehen auch keine absurden Bedürfnisse nach Sicherheitsutensilien wie zum Beispiel der Babybewegungsmelder, der schlafende Babys überwacht, um den plötzlichen Kindstod verhindern zu können.
Wir fahren vorsichtig, selbstverständlich, und fühlen uns gerade dadurch als verantwortungsvolle Verkehrsteilnehmer, die wir in vielen westlichen Ländern nicht gleich sind. Warum? Weil das Tempo Menschen, Konventionen und den gesunden Menschenverstand opfert.
Enya ist inzwischen auf dem Rücken eingeschlafen. Sie fühlt sich sicher, Lia und Simea geniessen die erstmalige "Töfftour" und ich frage mich, wieso wir in der Schweiz nun ein Kindersitzobligatorium bis zu 12-jährigen Kindern eingeführt haben.
"Sicherheit und Kinder" strapaziert ungewollt immer wieder das Verantwortungsgefühl: Bis wo? Wie lang? Wie weit? Ob überhaupt? etc. Oft passiert dann gerade da etwas, wo es niemand erwartet hätte, was wiederum den Radius des Sicherheitsbedürfnisses erweitert. Dabei vergessen wir zu oft, dass ein Grundrisiko einfach bestehen bleibt und die richtige Einstellung und eingeübte Achtsamkeit die wichtigste Versicherungen sind für die Entwicklung des gesunden Menschenverstandes.


Mittwoch, 13. Oktober 2010

Ida's Traum

Eine wunderschöne Mazurka, die sich im Meeresrauschen verliert, lässt mich mit dem Örgeli dahin schweben. Diese Töne, die nicht nur heimatlich sondern irgendwie auch universell anmuten, lassen in fremden Gefilden nicht nur Wehmut, sondern auch Erinnerungen mit Bildern und Geschichten erklingen. Was war wohl Ida's Traum? Der Titel dieses Tänzlis lässt Vieles zu. Das Meer aber war dem einstigen Komponisten vermutlich sehr fremd und wohl kaum eine direkte Inspirationsquelle. Ebenso wenig hat sich wohl Markus Flückiger beim Niederschreiben dieser Noten von der Weite des Meereshorizontes leiten lassen. Was sagt uns das Meer und Ida's Traum? War Ida vielleicht im Muotathal, auf dem Pragel oder der Ruosalp, bei Regen und Schnee oder bei Föhn und Klarsicht unterwegs? Hat sie am helllichten Tag vor sich her geträumt beim Worben oder Melken? War es in einer klaren Vollmondnacht oder nach der Alpabfahrt?
Träume kennen keine geografischen Schranken, sind aber Spiegelbilder lokaler Eigenheiten und Lebenswelten. Ich spinne an Ida's Traum weiter, wie schon mancher vor mir beim Ziehen und Stossen vom einen Bass zum nächsten.
Wie tönt eigentlich Thai-Musik? Bisher habe ich überall nur einen globalisierten Einheitsmix wahrgenommen. Ich fühle mich plötzlich als Exot, als quasi Extrem-Traditionalist einer vergangenen Kultur aus dem fernen Westen. Musik ist so globalisiert, dass die Vielfalt gesucht werden muss. An der Oberfläche vernimmt man nur den sich ewig wiederholenden Stilmix, des scheinbar universal gewordenen Mainstreams. Das Örgeli wird so zum Sinnbild eines Widerstandes gegen diesen akkustischen Konformismus, der mich nachdenklich stimmt. Ich spiele gegen die Zeit und träume von mehr Mut zur Vielfalt, von komischen Käuzen, die Volksmusik noch für die wahre Quelle von Kultur halten und von duftendem Heu und dem Pfeifen der Munggen.
Das Meer rauscht weiter, braust auf und nimmt mir den Ton ab. Meine Bässe verlieren sich in der Weite der Schaumkronen, die Sechzehntel reissen irgendwo ab im nahenden Getöse des nächsten Gewitters, aber Ida's Traum bleibt und entwickelt sich weiter, talauswärts, Richtung Süden, wo die Wellen zu Berg und Tal sich formen und wo Echo und Alpsegen sich in der Gischt der Brandung auflösen.
Ich kapituliere vor den Gewalten des Monsuns und halte inne: War es vielleicht doch der Föhn oder ein Schneesturm der tobte als Ida einen Traum nicht mehr vergessen konnte? Ich werde in die Weite des vor mir liegenden Horizontes mit Ida weiterträumen im Rhythmus der Mazurka.


Dienstag, 12. Oktober 2010

Buddha lächelt

Im Süden der Insel Ko Lanta hat der Islam den Buddhismus verdrängt. Der Muezzin, verhüllte Frauen und patriarchalische Blicke prägen die Dorfstimmung. Die Gelassenheit und Offenheit, die wir in Bangkok erlebt haben ist verflogen. Ein Dunst von Misstrauen liegt über den Gesichtern, so wie ich dies aus anderen islamischen Ländern kenne. Auch wenn die Leute freundlich sind, herrscht ein kollektiver Druck, der ungute Erinnerungen aus Nord- und Westafrika in mir aufkommen lässt.
Im Norden der Insel sind die Buddhisten noch präsenter, wenn auch klar in der Minderheit. In Saladan Down Town, dem Hauptort Ko Lanta's begegnen wir in einer Nebenstrasse buddhistischen Mönchen, die gerade ein Morgengebet abhalten in einem auf die Strasse hinaus offenen Saal, der vor allem mit Frauen und Kindern gefüllt ist. Die Mantras wirken beruhigend auf die geschäftige Samstagsmorgen-Stimmung. Angezogen von dem Gesang halten wir inne und alle Mädels beobachten gebannt die in orange Tücher eingehüllten Mönche. Die Zeremonie neigt sich dem Ende entgegen und der Vorbetende erhebt sich und macht mit einem Palmwedel die Runde zur Segnung. Vor allem alle Kinder werden gesegnet. Als Zaungäste am Eingang werden wir sofort miteinbezogen, sodass unsere Mädchen wohlbespritzt mit dem Segen eingedeckt werden. Die Gebetsgruppe löst sich auf und wir werden von verschiedenen Mönchen noch angesprochen, natürlich immer mit einem breiten Lächeln und grossem Interesse an den Kindern. Das Lachen, all die Kinder, die Räucherstäbchen und die nachklingenden Mantras sprechen für sich: Der Buddhismus strahlt eine völlig andere Stimmung aus, als dies der Islam tut. Individuum und Kollektiv haben eine grundsätzlich andere Bedeutung. Die Rollen sind so anders verteilt, dass mich diese unterschiedlichen Stimmungen tief beeindrucken.
Ohne dass ich die beiden Religionen nun bewerte und eingehend vergleiche, empfinde ich spontan eine Faszination für das buddhistische Lächeln und eine Abneigung gegenüber der islamischen Grundstimmung. Die Religion bleibt eine Angelegenheit, die soziale Strukturen nach wie vor beeinflusst. Was auf der einen Seite der Buddhismus an Toleranz und Offenheit lebt und ausstrahlt, wirkt auf der anderen Seite im Islam dogmatisch, autoritär und ausgrenzend. Aus einer klassisch westlichen Perspektive scheint mir, der Buddhismus hat dem Christentum die Aufklärung vorweggenommen, der Islam hat sie bis heute nie nachgeholt. Und dies widerspiegelt sich in der Alltagsstimmung die den reisenden Beobachter einhüllt.


Montag, 11. Oktober 2010

Entwindeln

Die Thais verwenden für die Notdurft ihrer Kleinkinder bekanntlich keine Windeln, wie es in den meisten Ländern mit warmem Klima und eher tiefem Lebensstandard völlig normal ist. Mit ungutem Gefühl sind wir mit einem Pack Migros-Budget-Windeln vor einem Monat losgezogen. Die Idee im Hinterkopf, Enya dann irgendwie trocken zu therapieren war noch nicht wirklich ausgereift. Bei Enya waren noch überhaupt keine Anzeichen erkennbar, dass sie sich interessieren würde, wo, wann und in welcher Form sie sich entleeren würde. Da wir uns grundsätzlich gerne den fremden Sitten anpassen, um eine minimale Integration im Land anzustreben, versuchen wir nun auch bei Enya dieses kleine Problemchen auf die thailändische Art zu lösen: laissez - faire ohne Windeln und die Natur richtet's. Bisher ist das Resultat noch sehr bescheiden, sodass wir bereits beinahe traumatisiert sind von den braunen und feuchten Überraschungen, die sie uns an Orten wie am Swimming-Pool, auf dem Tisch oder im Einkaufsladen hinterlässt. Was bei uns als höchst peinliches Vorkommnis eingestuft wird, ist bei den Thais ein alltägliches Ereignis, das höchstens ein Achselzucken und ein Lächeln verdient.
Die bisher eher durchzogenen Erfahrungen mit dem frühzeitigen windellosen Dasein Enya's haben dazu geführt, dass ich nun immer ein Plastiksäcklein in der Hosentasche mitführe, wie es sich die Hundebesitzer bei uns gewohnt sind.
Inzwischen hat Enya sichtlich Freude am "Gagi-Bisi-Spiel", das aber leider nicht nach unseren erwünschten Regeln abläuft: Sie lässt ihren Bedürfnissen freien Lauf und vollführt dann oft einen Freudentanz an Ort und Stelle, begleitet mit lautem und freudigem Rufen. Den Trick, wie wir sie dazubringen irgendeine Vorwarnung abzugeben, haben wir ebenso wenig rausgefunden, wie die Früherkennung von irgendwelchen alarmierenden Anzeichen. Diese Übergangsphase bleibt auch am Strand eine knifflige Sache. Mindestens ein Ziel ist erreicht: Enya will keine Windeln mehr anziehen und sträubt sich dann meistens so sehr, dass dies beinahe nicht mehr möglich ist. Vermutlich wird sich keine Strategie wie so oft als beste erweisen. So sollten wir einfach auf die sich selbst organisierende Natur vertrauen und noch einige Zeit mit dem Plastiksäckli in der Hosentasche wachsam sein.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Enthüllung

Das Meer kocht vor Wut. Schaumkronen tummeln sich in der aufgebrachten See. Die Tropen zeigen sich melancholisch verhangen und an diesem Sonntagmorgen entdecke ich auf dem Morgenspaziergang entlang der Brandung ein Müllstreifen, wie ich ihn hier noch nie gesehen habe. Durch die veränderte Strömung spucken die Wellen nun Berge von Meermüll aus. Eine Art Rache der beleidigten See gegenüber all den strandsuchenden Touristen, die Abfallberge auf diesen Inseln zurücklassen. Das Meer bringt an diesem Morgen Hunderte von Petflaschen, Flip-Flops und vor allem Accessoires aus der Toilettentasche wie Zahnbürsten, Rasierschaum, Tampons, Duschmittel und Haarsprays. Erste Petsammler sind bereits am Zusammenräumen, füllen Säcke und bilden kleine Müllhaufen. Die offizielle Strandputzequipe des nebenan liegenden Luxusresort wird erst im späteren Vormittag auftauchen.
Der Meermüll, wie er hier vorübergehend die Strandromantik stört, erinnert an die gewaltigen Mengen vor allem von Plastikmüll, die auf hoher See treiben. Selten wird diese riesige Müllhalde sichtbar. Hier in Südthailand ist es vor allem die Monsunzeit, welche jene Strömungen mit sich bringt, dass sich vielleicht ein Abfallbewusstsein mindestens vorübergehend entwickeln könnte. Aber schliesslich will niemand das Meer als Müllhalde wahrnehmen. Lieber die Erinnerung an den eigenen Abfall mit einem Drink wegspülen oder die PET-Flaschen zu Hause wieder schön brav an die Sammelstelle bringen.
Der grösste Anteil des im Meer angesetzten Plastik ist glücklicherweise für die meisten unsichtbar, weil sich die winzigen Plastikkörnchen, die sich im Meer nicht mehr zersetzen zwar überall festsetzen, aber eben kaum wahrnehmbar sind. Inzwischen sind die Partikel bereits Bestandteil der Meernahrungskette, haben sich rund um den Globus in jeder Küstenecke festgesetzt und zählen zu den am schwierigsten abbaubaren Substanzen, die von der Menschheit hergestellt werden. Neben dieser fast unsichtbaren unwiderruflichen Plastikinfiltration in den Weltmeeren, bilden sich besser sichtbare Plastikinseln auf den Meeren, die durch Strömungen kleinere oder grössere Inseln bilden können. Diese Inseln können zu treibenden Plastikkontinenten anwachsen, wie sich der wohl bekannteste und grösste im pazifischen Ozean zwischen Südamerika und Neuseeland gebildet hat. Dessen Ausmasse sind so gigantisch, dass ich beim Betrachten unserer morgendlichen Müllpalette zur lokalen Verharmlosung neige. Doch der heutige Zorn des Meeres ist global, die Enthüllung gleicht einem Warnruf, die dunklen Wolken am Horizont wecken mehr als Monsunmelancholie. Die Welt ist bereits so plastifiziert, dass sie für zehntausende von Jahren nicht mehr so sein wird, wie sie sich einmal im plastikfreien Naturzustand präsentiert hat. Es scheint schon jetzt ziemlich wahrscheinlich, dass die Plastikrückstände die Menschheit um ein x-faches überleben werden.

Samstag, 9. Oktober 2010

Zahlungsmoral

Seit wir nicht mehr selber kochen und sogleich nach dem Essen die Rechnung begleichen, wie es sich gehört, ist für Lia und Simea das Zeitalter des Zahlungsverkehrs angebrochen. Plötzlich wird das Bezahlen zum integralen Bestandteil des täglichen Konsums. Was bisher selbstverständlich auf dem Tisch war, wo wir bisher selbstverständlich Kleider anzogen, schliefen oder Zug und Auto fuhren, da müssen wir jetzt jedes Mal das Portemonnaie zücken und mit den langsam vertrauter werdenden thailändischen Baht bezahlen.
Sowohl Lia wie auch Simea haben dazu ihr eigenes Geldtäschli, mit dem sie sich nun seit etwa 2 Wochen mit unglaublichem Eifer darum streiten, wer wieder bezahlen darf. Simea findet das Bezahlen nur interessant, wenn sie mehr "Bätzeli" heraus bekommt, als sie selber bezahlt hat, ansonsten findet sie das Spiel gar nicht lustig. Und so versuchen wir mit ihr jedes Mal so zu bezahlen, dass sich ihr Geldsäckli eher füllt als leert. Dies hat zur Folge, dass sie meint, die Leute, bei denen wir essen gehen bezahlen uns, dass wir bei Ihnen einkehren! Eine wahrlich königliche Einstellung, die für ein gutes Selbstbewusstsein sorgt. Lia nimmt das eher locker mit dem Rückgeld, versucht aber umso mehr, ihr Kinder-Englisch beim alltäglichen Ritual der Bezahlung zu perfektionieren: "I d`like to pay" und "Can I have the bill, please" waren ihre ersten perfekt gesprochenen Englisch-Sätze. Inzwischen entwickelt sich das Vokabular rasant und zum Erstaunen aller mischt auch Simea und sogar Enya mit.
Anfänglich entwickelten sich heftigste Streitereien, wer nun bezahlen darf. Deshalb mussten wir die Regel einführen, dass jedes Mädel ihre "Zahltage" hat. Bei Müdigkeit oder Hunger ist das Thema aber immer noch ein Auslöser für Streitigkeiten oder Wutanfällen von Simea. Simeli hat ihr Portemonnaie von Götti Michi dermassen überbelastet, dass nun bereits die ersten Nähte reissen.
Tja, auch diese Phase wird einmal vorbei sein und ich gehe davon aus, dass sich die Zahlungsmoral auch bei unseren Mädchen nicht immer mit diesem Elan aufrechterhalten lässt.

Freitag, 8. Oktober 2010

Authentisch

Der Regenwald dampft, Hunde lungern auf den langsam einwachsenden, mit Schlaglöchern durchzogenen Strassen herum, die Girls und la Mama sitzen hinten auf dem Pick-Up, il Papa am Steuer im kleinen, heissen Suzuki. Wir sind auf der Suche nach dem kleinen Fischerdorf, das in Reiseführern als "besonders authentisch" angepriesen wurde. Überzeugt am richtigen Ort zu sein, treffen wir nur auf eine Ansammlung von aus dem Boden gestampften Fertighäusern, die eher von Ikea stammen als von hiesigen Fischern.
Endlich finden wir die Wasserfront mit den klassischen Thai-Pfahlbauten und dem Fischgeruch, wie wir ihn erwartet haben. Allerdings dringt bald der Müllduft unter den Häusern hervor und die Stimmung in dieser etwa hundert Meter langen Häuserzeile ist geprägt von einem herumgrölenden Betrunkenen und kichernden Mädchen sowie fetten Frauen, die vor ihren Hauseingängen sitzen, tendenziell eher liegen. In jedem Haus läuft mindestens ein Fernseher und in jedem zweiten ein anscheinend wichtiger Thai-Boxkampf.
Wir werden von zögernd freundlichen, eher skeptischen Blicken begleitet, als unsere Mädchen durch die Gasse ziehen. Dank dem zurückgezogenen Meer finden wir den Weg zwischen gestrandeten Fischerbooten und mit Muscheln übersäten Felsen zur gegenüberliegenden Insel, die irgendwie eine Idylle verbreitet. Mangroven verteilen sich sporadisch über die vom Meer befreite Fläche und bilden mit ihrem Wurzelwerk skurrile Formen. Angekommen auf der kleinen Insel, die übersät ist mit Krabbenfanggittern und Fischernetzen, blicken wir zurück zum Gipsy-Village, das umsäumt ist von diesen modernen Bungalows, die wir einfach nicht richtig in dieses Bild hineinverstehen können. Später erfahren wir, dass das völlig daneben geratene Ikea-Design, ein Produkt der Tsunami-Gelder ist, die in Form eines Wiederaufbauprojektes die traditionellen Dorfstrukturen regelrecht über den Haufen geworfen hat. Der Tsunami hat hier anscheinend gar keinen Schaden angerichtet, ausser dass jetzt die Touristen nicht mehr kommen, da es vorbei ist mit der Authentizität dieses kleinen Fischerortes…Vielleicht profitiert das Dorf letztendlich doch noch von der Tsunamihilfe, da  bald keine dummen Touristen mehr die Stimmung des Dorfes verändern und sich wiederum ein authentisches, wenn auch nicht vermarktbares Gesicht eines Dorfcharakters entwickelt. Absurd diese ganze Geschichte, aber doch ein Spiegelbild des thailändischen Tsunami-Tourismus-Zusammenspiels.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Strandfussball

Die Luft ist frisch durchgewaschen und die Temperaturen abendlich angenehm, sodass wir zum täglichen Fussballspiel antreten. Ein Schwede, achtzehn Thais und ein Schweizer , "oben-ohne" gegen "mit-shirts", gemäss den gängigen Strandregeln zur Unterscheidung der Teams. Die Tore sind winzig, das technische Niveau hoch, das Kurzpassspiel die gängige Formel. Bereits nach 5 Minuten schwitzen alle so wie wir in unseren Breitengraden nur in Ausnahmesituationen Wasser verlieren.
Fussball ist die einfachste universelle Sprache (vor allem unter Männern), vielleicht sogar die einzige, die wahre interkulturelle Kommunikation ermöglicht. Durch das Spiel verlieren die wohlüberlegten Ausdrücke und Worte ihre Bedeutung und werden durch Einsatz, undefinierbare Laute von befehlendem Ton bis zum Stöhnen der Erschöpfung oder Gesten der Fairness ersetzt. Fairness, das Einhalten der banalen und doch so wichtigen Regeln, wird zur alles entscheidenden Konvention, die Zusammenhalt und das Gelingen des Spiels überhaupt ermöglichen. Niemand spricht miteinander, alles spielt sich ohne Worte ab, bis endlich nach einer knappen halben Stunde ein Tor fällt, dann kommen die ersten emotionalen Töne hoch.
Ich halte mit, obwohl ich einer der Ältesten auf dem Platz bin. Die jungen, gelenkigen Thais sind schnell und kampfbereit, aber fair, es kommt während 1 Stunde Spielzeit zu gerade mal 2 Fouls. Die Hälfte der Spieler ist langhaarig und tätowiert, sieht so aus, als ob dies hier zum "Strandlook" gehört. Der Schwede und ich versuchen etwas Druck zu erzeugen, was schliesslich zu einem zerbrochenen Torpfosten führt. War dies die europäische Demonstration mit der Brechstange? Wir versuchen uns an die filigrane Spielweise der Thais anzupassen und es gelingt tatsächlich, sodass wir uns gut ins Kollektiv einfügen.
Plötzlich räumt sich das Feld, neben 4 Thais sind nur noch der Schwede und ich auf dem Platz, was ist los? Nebenan ist eine Gruppe älterer Männer in langen, reich bestickten muslimischen Gewändern aufgetaucht. Die Fussballjungs sammeln sich um die autoritär wirkenden Männer. Gebet oder Politik? geht es mir durch den Kopf. Einer der verbliebenen Thais klärt mich auf, dass ein paar wichtige Männer zu Besuch seien und sie einen Dorfrundgang machen mit den hiesigen Entscheidungsträgern. Die Moslems sind mit über 90% die prägende Religionsmehrheit auf der Insel. Dies wird mir erst jetzt bewusst während diesem unverhofften "Time-Out". Nach einigen Minuten spielen wir weiter, aber die Luft ist jetzt irgendwie raus und wir finden den Schwung nicht wieder. Nach einer Stunde sind der Schwede und ich die Einzigen, die ins Meer springen vor Hitze, die Thais baden nicht im Meer, selbst nach einer Stunde Fussball bei 30 Grad und 90% Luftfeuchtigkeit. Einige rauchen eine Zigarette, die anderen ziehen gemächlich ab.

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Stranden

Strand ist Strand, oder doch nicht? Was treibt die Menschen an den Strand und dann noch von einem zum anderen? Wie sieht der perfekte Strand aus? Und wieso locken diese Strände Millionen von ferienhungrigen, alltagsgeplagten und Iphone-süchtigen Erholungssuchenden jährlich in die vermeintlichen Meeresparadiese? Irgendwie kann ich die getriebenen Strandsucher nicht verstehen, die von einem Strand zum anderen pilgern, um niemals ihren Erwartungen gerecht zu werden. Ist nämlich einmal ein Strand perfekt, dann fehlt es sicher an Infrastruktur oder an der Ruhe, es sind Sandflies im zu warmen Meerwasser oder Plastikmüll stapelt sich unter den Palmen. Kann gut sein, dass einem dann sogar andere Strandjäger die Einsamkeit verderben oder die Strandbar einfach schlechte oder zu laute Musik abspielt. Zudem ist die Sonne so gnadenlos in diesen Breitengraden, dass entweder krebsrote Rücken, überhitzte Sandflächen oder sogar Kopfschmerzen und ständiger Durst einem den Strandgenuss verderben. Wieso also so ein Riesengeschäft mit all dieser Strandatmosphäre, die Erholung und Erlösung vor dem Alltag vorgaukelt?
Es ist die Sehnsucht nach der Weite des Meeres, nach einem Horizont, der Hoffnungen weckt, nach Schönwetterwolken und Luxusjachten. Es ist die Macht der unergründlichen Tiefe des Meeresblau, des Kontrastes zwischen Erde und Wasser, der aufeinandertreffenden Elemente. Es ist der Drang nach dem reinen Sternenhimmel und der rauschenden, nie zur Ruhe kommenden Brandung, nach dem salzigen unverkennbaren maritimen Geruch.
Die Faszination liegt auf der Meeresseite, aber wieso Strand? Es gibt die verschiedensten Variationen von Meeresküsten, die viel spektakulärer und spannender sind, als die banalen Sandstrände. Der Sand ist wohl wegen seiner pflegeleichten Banalität so geeignet den grossen Massen den Zugang zum Meer zu verschaffen, ohne sich ein Bein zu brechen oder von scharfen Felsen die Füsse zu zerschneiden, ohne sich eben gross zu bemühen, einfach praktisch halt. Dies teilen auch die Kinder, klar, dass es am Strand einfach am schönsten ist, um auf den Wellen zu reiten, sich so richtig einzusanden oder Muscheln zu sammeln und Spuren zu verfolgen. Und bei diesen typischen Beschäftigungen merken wir halt doch, dass Strand nicht einfach Strand ist, denn wie so oft liegt der Teufel wieder im Detail: Wie spielen Ebbe und Flut mit? Wie geeignet ist der Sand für Sandburgen? Wieviele Muscheln und welche Arten davon sind zu finden? Wie flach ist der Strand? Wie stark ist die Strömung? Wo kann man Schnorcheln? Wie sauber ist das Wasser? Gibt es Schatten, Bäche und Flüsse, die ins Meer münden? Die Liste könnte noch viel länger werden, je länger wir an den Stränden unsere Zeit vertreiben. Bleibt nur noch zu sagen, bis jetzt sind wir gut gestrandet.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Körper und Geist

Als der arabische Mittelalter-Philosoph Avicenna versuchte, das reine Bewusstsein, ohne verfälschende körperliche Zustände mit einem Gedankenexperiment zu finden, liess er den menschlichen Körper an einem Faden in der Schwerelosigkeit fliegen. So sollte nur noch der reine Geist sich selbst bewusst werden und merken, dass dem Körper eigentlich gar keine wahre Realität zukommt.
Die heutige Thai-Massage war genau das Gegenteil, das mir widerfahren ist. Der Körper nahm überhand, der Geist wurde irgendwie ausgeschaltet und ich spürte nur noch die teilweise knallharten Druck- und Ziehbewegungen in meinen manchmal entspannten, manchmal gequälten Muskeln. Zum ersten Mal unterzog ich mich dieser sowohl angenehmen wie auch schmerzhaften Behandlung. Irgendwie ist diese traditionelle Thai-Massage das pure Gegenargument zu Avicenna's fliegendem Menschen. Jeder Muskel, fast jeder Körperteil wird aktiviert und heissgeknetet oder geklopft, nur noch der Körper existiert wirklich, der Geist verliert seine Kraft, erscheint nur noch als hilflose Krücke des Körpers, bis er sich selber hoffnungslos aufgibt.
Mit Diskretion und filigraner Technik werde ich behandelt. Sanftmut und Härte zugleich fliessen durch diese Hände, Disziplin und eine Prise Leidenschaft gegenüber Handwerk und Tradition. Ruhe und Gelassenheit erfassen mich durch die körperliche Ent- und Anspannung. Das Bewusstsein hat sich erleichtert von der alltäglichen diskursiven Spannung, die Überheblichkeit des Geistes ist dahingeschmolzen in der Tropenhitze, der Körper hat Überhand genommen und ich erliege sowohl dem Schmerz wie auch dem Wohlgefühl des Loslassens.

Montag, 4. Oktober 2010

Sandburgen

Sandburgen sind eine alte Leidenschaft von mir, die mich jederzeit wieder in meine Kindheit zurückversetzen können. Sandburgen geben jene Bodenhaftung, die beim Anblick der vorbeiziehenden Gewitterwolken fehlt. Sie verkörpern die Brücke zwischen dem Himmel und Meer, das Handfeste umgeben von Luft und Wasser. Sandburgen lassen Träume erwachen, lassen Ideen entstehen und charakterisieren Machtgelüste wie auch der Hang zur Schönheit des "Homo Faber". Sandburgen widerspiegeln insofern Machbarkeitsdrang und Vergänglichkeit, Kreativität und die Grenzen der Schwerkraft.
Wir bauen mit Holz und Sand eine wunderschöne Burg im Auslauf eines Monsunbaches, der ins Meer mündet. Je nach Strömung und Regenfall liegt diese Zone zwischen Salz und Süsswasser, so quasi im potentiellen Mangrovengürtel unseres Strandes, im "Sweet and Sour" des Wasserhaushaltes. Die Wasserversorgung unserer Wassergräben versiegt allmählich durch den abnehmenden Wasserstand des Baches, während die Flut einsetzt und unsere Burg langsam von der Meeresseite mit Wasser versorgt. Irgendwie total faszinierend, wie der Standort unserer Sandburg Natur und Kultur im Wechsel der Gezeiten und der Monsunlaunen zu einem Objekt von philosophischer Ausstrahlung macht.
Alle sind von Kopf bis Fuss beklebt mit Sand und wir suchen langsam den Abschluss unserer offenen Architektur, ein weiteres unbedeutendes Meisterwerk von kurzer Dauer, das aber bei den Girls Stolz und Spannung auslöst. Mit den Muscheln auf jedem Turm leistet auch noch Enya ihren Beitrag mit höchster Konzentration und Ernsthaftigkeit.
Sandburgen sind eine Faszination, von der ich nie loskommen will, weil sie die Wahrnehmung für das Schöne schärfen und die Grenzen des Machbaren so direkt aufzeigen. Sie lehren, an die eigene Kreativität zu glauben und die Vergänglichkeit zu akzeptieren. Es lebe die Sandburg!
Zum ersten Mal fühle ich, dass auch bei den Mädels so etwas wie ein gewisses Interesse aufkeimt. Bisher fühlte ich mich ziemlich alleine mit meiner Leidenschaft, mal schauen, wie sich das noch weiterentwickelt. Es wäre nicht die einzige Leidenschaft, die ich mit meinen Töchtern nicht teilen werde.