Donnerstag, 31. März 2011

Spuren

2010 war das Jahr des Tigers, der in vielen Gebieten so selten geworden, dass er inzwischen zu den bestgeschützten Tieren weltweit gehört. Das Überleben dieses beeindruckenden Räubers ist deswegen noch keineswegs gesichert, ausser vielleicht in Bhutan.
Ich bin im Büro der lokalen "Forestry Field Division" und schaue mir mit Kinley dem hiesigen Chef-Ranger die letzten Tigeraufnahmen an. Im letzten Oktober wurden oberhalb Trongsa auf einem langgezogenen Gratpfad 42 Fotofallen aufgestellt. Das Resultat war eine spektakuläre Photoserie, die wohl seinesgleichen weltweit sucht. Aus über 2015 verschiedene Tigerphotos konnten mindestens 3 verschiedene Individuen identifiziert werden. Da zusätzlich anhand von Spuren noch 2 Jungtiere festgestellt wurden, wird vermutet, dass es sich hier um eine einzigartige Tigerdichte handelt, die bisher noch nie so nachgewiesen werden konnte. 
Wir machen uns auf den Weg Richtung "Tiger-Range". Die lehmige Strasse ist glitschig, da es die ganze nacht unaufhörlich geregnet hat, der erste ausgiebige Regen seit Monaten. Entlang der kurvigen Bergstrasse lächelt uns ein glücklicher Mischwald entgegen, wo Magnolien und Rododendren rot und weiss in den wolkenverhangenen Himmel leuchten. Kinley wirkt ruhig und überlegt in seinen Ausführungen. Etwas stolz und zugleich fasziniert über sein Tigerland berichtet er, wie sie im letzten Jahr auf den Farmen regelmässig Vieh verloren. Schliesslich erreichen wir nach ein paar weiteren Rutschpartien unser Ziel: Semgbji - ein Bauerndorf auf 2400 Metern, durch eine Strasse erreichbar seit 2006, mit erstmals gewähltem Gemeindepräsidenten 2008 und am Stromnetz  angeschlossen seit 3 Monaten.
Der Dorfsprecher empfängt uns zusammen mit zwei Bauern, die erst kürzlich zwei Kühe  durch Tigerangriffe verloren. Lendhup führt uns in sein neues Bauernhaus, das gerade erst bewohnbar gemacht wurde. Wir setzen uns auf die Strohmatten und lancieren die Diskussion. Ruhig mit Sanftmut und mit entschlossener Bodenständigkeit erzählen die Bauern von ihren Tigererlebnissen. Von Wachfeuern, Tigerverfolgungen, frischen Spuren und toten Kühen wird ebenso berichtet wie von Entschädigungen, Versicherungen und den schwierigen Produktionsbedingungen. Schutzhunde, Zäune oder Wachposten stehen auf verlorenem Posten vor dem fast allmächtigen König des Dschungels. Er ist bei weitem nicht alleine im teils lichten, teils dichten Gebirgswald: Der Himalaya-Schwarzbär kreuzt hier seine Wege ebenso mit den Leoparden wie mit den Wildhunderudeln. Weiter hinten im Tal streicht dann auch der Schneeleopard herum, der die Richtung angibt zum sagenumwobenen Gebiet des "Snowman", bei uns bekannt als Yeti.
Trotz den Sorgen und einer gewissen Ohnmacht der hiesigen Bauern, die mich in die schweizerische Wolfsgeschichten zurückversetzen, ist die Stimmung aufgelockert und sehr freundlich. Gegen Ende der Diskussion äussern die Dorfbewohner zusehends den Respekt und die Achtung, die sie gegenüber den Tigern pflegen. Der Tiger wird hier selten beim Namen genannt, sondern wie ein Würdenträger behandelt. Sie bezeichnen ihn mit Mifam, was sonst nur ehrwürdigen Personen als Titel gebührt. Ihre buddhistische Überzeugung und die grosse Symbolik, welche die königlichen Grosskatzen ausstrahlen, lässen das ständig latente Risiko mit bewundernswerter Gelassenheit fast verschwinden. Dies ist wohl die überzeugendste Erklärung, warum hier die Tiger ein weltweit einzigartiges Refugium vorfinden, wo sich die Bescheidenheit des Menschen in der grandiosen Macht der Natur verliert. 

Samstag, 26. März 2011

Gebetsfahnen

Überall flattern sie. Rot, gelb, grün, blau und weiss tanzen sie auf Brücken, Berggipfeln, Passübergängen oder vor Tempeln und Stupas. Die Gebestfahnen verbreiten über's Land eine ständig präsente spirituelle Stimmung. Die bhutanesisch-buddhistische Symbolik wird so den Flüssen entlang, über Bergweiden und Felswände hinausgetragen. Die Bewegung des Windes wird in den Flattergeräuschen eingefangen und lässt eine Gebetsmusik entstehen, die oft von den Klängen der Gebetsmühlen begleitet wird. Sowohl die Toten, wie auch die Lebenden werden von diesen himmlischen Melodien über die Weiten der Täler begleitet.
Die fünf Farben repräsentieren die fünf Elemente (mit dem Eisen als fünftes, "fernöstliches" Element), können aber auch die 5 Weisheiten, die 5 Meditationen Buddhas, die 5 Himmelsrichtungen oder die 5 mentalen Zustände symbolisieren. Die Fahnen sehen zwar meistens ähnlich aus, haben aber alle verschiedenen Bedeutungen. Ein Ziel teilen sie schliesslich alle: Sie sollen für alle Lebewesen Segen und Schutz von den Göttern bringen. Für uns sind sie unterwegs längst treue Begleiter geworden:
Beim Aufstieg zum angeblich grössten sitzenden Buddhas Asiens, der in 2-3 Jahren fertiggestellt werden soll, leiten uns die nicht versiegenden Flattergeräusche durch den duftenden Föhrenwald. Als wir die Baustelle erreichen, pfeift uns ein auffrischender Südwind entgegen. Staub wirbelt durch die Luft. Es ist Sonntag. Nur einzelne Arbeiter schleichen durch die gigantische Gerüstlandschaft des Sockels der Statue. Hier soll ein Pilgerziel mit Restaurant, Museum, Hotel und Souvenirshops entstehen. Ein Projekt, das eher an chinesischen Gigantismus, als an bhutanesisch, exklusive Bescheidenheit erinnert. Verstaubt und ausgetrocknet nehmen wir den Rückweg in Angriff, um uns von den Gebetsfahnen Richtung Thimpu tragen zu lassen.
Auf dem 3425 Meter hoch gelegenen Yotong La hat sich das Flattern in ein Rattern verwandelt. Der Wind bläst eisig und Graupel jagt durch die feuchtkalte Luft. Der Pass ist förmlich eingepackt mit den farbigen fünf Wegbegleitern. Im dichten Nebel ragen die moos- und flechtenverhangenen Föhren gespenstisch in die weisse Feuchte. Unsere Schneebälle fliegen um die Stupa und verschwinden im farbigen Fahnenmeer. Der Schnee ist nass und mit Eiskörnchen durchsetzt, sodass nicht besonders grosse Nostalgie zum bekannten, heimatlichen Weiss aufkommt. Nur Enya erfreut sich am Schneemann, der mit Rododendronästen geschmückt ist. Die Fahnen wünschen uns gute Fahrt in diesem garstigen Klima.
Über dem Bumthang River senden die bunten Boten zwischen Himmel und Erde das Glück von den Brücken talwärts.  Wir überqueren die Hauptverbindung des Tales mit den letzten Sonnenstrahlen und kehren nach einem anstrengenden Tag zum wohlverdienten Tee zurück. Die Fahnen sind unermüdlich im kühlen Abendwind. Deren Symbolik, Metaphern und Bilder tauchen uns ins Wolkenspiel des  aufklarenden Himmels. Dankbar und müde lassen wir unsere Seelen mitflattern.

Donnerstag, 24. März 2011

Ausgezäunt






Es ist drückend heiss. Wie ein kleiner Bunker glüht mir der Grenzstein aus dem ausgetrockneten Waldboden entgegen. Ich stehe zwischen zwei Zäunen auf der Grenze zwischen Indien und Bhutan und blicke mit verstaubten Augen in das Zeltlager der indischen Armee, das hier vor drei Monaten errichtet wurde, um die unsichere Grenzsituation zu beruhigen. Regelmässig werden in diesem dichten Dschungel Leute entführt und angegriffen. Es herrscht pure Anarchie unter den Assam-Aktivisten, die seit Jahren das Gebiet terrorisieren. Deshalb sind sogar meine buddhistischen Begleiter, die Wildhüter und Parkranger von Sarpang, mit Gewehren bewaffnet. Mit zwei grossen Pick-up, vom WWF gesponsert, sind wir heute morgen nach Singye gefahren. Singye ist das letzte Dorf hier am Fuss des Himalaya. Die fruchtbaren und relativ flachen Böden werden von Bhutanesen aus allen Regionen des Landes bewirtschaftet. Die meisten zogen im Rahmen eines grossen Umsiedlungsprojektes des Königs in den Neunziger Jahren hierher. Alle, die sich freiwillig meldeten, erhielten ein Stück Land und ein Startkapital zum Lebensunterhalt. So sind hier neue Dorfgemeinschaften entstanden, die zwischen Hoffnung und Frustration ihre Zukunft suchen. 
Es sind vor allem zwei Übel, die sie in ihrem Alltag während den letzten Jahren beschäftigten: Die unsichere politische Lage und die wilden Elefanten. 
Die Waldelefanten zerstörten jedes Jahr ihre Ernte, manchmal sogar ihre Häuser. Wegen der Wilderei und einem drastischen Rückgang der Waldfläche fliehen sie immer mehr in den bhutanesischen, unwegsamen Dschungel, der nur schwach besiedelt ist und keine Wilderei kennt. So ist der Druck auf die wenigen landwirtschaftlichen Flächen in den letzten Jahren gestiegen. Die Wildhüter schätzen die momentane Population mit Hilfe von Dung-Analysen auf ca. 430 Elefanten. Überall wurden Wachposten auf den Bäumen erstellt, um die nächtlichen Eindringlinge zu vertreiben. Aber Elefanten sind schlau. Sie reagieren auf sämtliche Vertreibungsmethoden, sei es mit Blinklichter, Alarmsirenen oder Schreien sehr clever. Immer wieder schafften sie es, die Farmer zu überlisten. Vor allem junge, einzelne Elefantenbullen sind besonders hartnäckig. Die Farmer gaben viele Flächen auf und zogen teilweise sogar wieder weg. Es musste etwas geschehen, das diese Existenzgrundlagen gesichert werden konnten.
Seit einem Jahr nun umgibt ein 5 km langer, solider Solar-Elektrozaun die über 50 Haushalte. Wir gehen zwischen ausgetrockneten Reisfeldern, Bananenstauden und mageren Kühen dem Zaun entlang. Jrgendwo im Dickicht hören wir Elefanengeräusche, dann wieder Stille. Plötzlich fällt ein Schuss. Ruhig erklären mir die Parkwächter, das sei ganz normal, die Assam-Kämpfer schiessen auf alles, was sich bewegt. Leicht angespannt und nachdenklich begeben wir uns auf den Rückweg, vorbei an alten Elefantenspuren, holzbuckelnden Frauen und einer unbekannten, wunderschön leuchtenden Schlange zwischen den Bewässerungskanälen. Vor einer sehr einfachen Bauernhütte erwarten uns seltsam anmutende Plastiktöpfe. Die Frauen haben für uns den typischen "Tongba" gebraut. Ein leicht fermentiertes Gebräu, das schon nach kurzer Zeit so etwas wie eine "subtropische Gemütlichkeit" verbreitet. Noch lange diskutieren wir über Zäune, Elefanten und das Assam-Dickicht, bis wir vor dem Eindunkeln mit den Pick-Up's nach Sarpang zurückholpern.

Montag, 21. März 2011

Bhutan Star




Der Saal ist mehr als halbleer. Nur die vordersten Reihen sind besetzt. Als einzige Nicht-Bhutanesen setzen wir uns neben eine Gruppe Teenies und ein paar Kinder. Beidseits von uns stehen die Fernsehkameras des bhutanesischen Fernsehens. Hinter uns auf einem leicht erhöhten Podium thront eine 5-köpfige Jury. Eine überdimensionierte Bühne erhebt sich vor uns, um den diesjährgien "Bhutan-Star" zu erküren.
Seit einigen Tagen sind wir in Thimpu, dem wirtschaftlichen und politischen Zentrum Bhutan's. Über der Stadt liegt Frühlingsdunst, der sich mit dem Rauch eines Buschbrandes entlang der trockenen Berghänge vermischt. Thimpu ist längst zu einer Stadt angewachsen, in der Globalisierung und bhutanesische Identität einander die Hand geben. Ebenso wie die Architektur, die Tempelkultur und die Kleidung, befindet sich auch die bhutanesische Musik in einem Wandel. Eine Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne, die sich auch im bhutanesischen "Music-Star" widerspiegelt.
Die 5 Finalisten singen sich in 4 Runden während einer 3 stündigen Show durch Tradition und Moderne. Dabei nehmen die traditionellen Instrumente und Lieder eine entscheidende Rolle ein. Uralte Saiteninstrumente, Flöte und Perkussion begleiten die 5 Sänger in den ersten beiden Runden.
In der dritten Runde werden die alten Klänge in neue Rhythmen verpackt und die letzte Runde gibt den neuesten bhutanesischen Pop-Hit 5 Mal zum Besten, sodass Lia den Song schon fast perfekt mitsingt.
In den schweizerischen Music-Star-Staffeln, die in den letzten Jahren über den TV flimmerten, wurde weder gejodelt noch in der Tracht getanzt. Hier in Bhutan wäre dies selbstverständlich. Vielleicht ist dieser Wettbewerb gerade deshalb besonders interessant, weil die bhutanesische Folklore für uns noch im Exotik-Modus blüht. So verfolgen wir eine eher langweilige Show, die wir in der Schweiz wohl schon lange verlassen hätten bis zum offenen Ende. Die Entscheidung folgt erst morgen.
Auch in Bhutan ist der Song-Contest aufs Fernsehen ausgerichtet. So läuft denn am Sonntag praktisch in jedem Shop und in jeder Bar die letze Show bis zur Preisverleihung. 
Symptomatisch für eine Gesellschaft im Umbruch werden die beiden Hauptpreise für die Erstplatzierten in Form eines riesigen Autoschlüssels verliehen. Das Auto hat in Bhutan nicht nur eine enorme Prestige-Rolle, es steht auch als Symbol zur Verwirklichung von Träumen. Auch für die aufstrebenden "Bhutan-Stars" bedeutet Erfolg Mobilität und Aussicht auf individuelle Freiheit. Ein Traum, der in der Gebirgsgrossstadt Thimpu noch viele in Illusionen und falsche Versprechungen treiben wird. 

Samstag, 19. März 2011

Strange World




Als Lama Drukpa Kunley, der "Divine Madman" über die tibetische Grenze nach Bhutan wanderte traf er unterwegs in einem abgelegenen Dorf auf zwei verletzte Tiere. Die Ziege war am Rücken von einem Steinschlag getroffen worden und ein Yak litt an einer schweren Augenentzündung, sodass es erblindete. Da beide Tiere in diesem Zustand nicht mehr überleben konnten, rettete Kunley die beiden Tiere, indem er den Kopf der Ziege mit dem Körper des Yaks vereinigte. So entstand Bhutan's Nationaltier, das Takin, und Lama Drukpa Kunley entwickelte sich ebenso zu einem Nationalhelden. 
Sowohl das Takin, wie auch Kunley sind noch heute im ganzen Land präsent. Das Takin kann in Logos immer wieder entdeckt werden, während Kunley in Form eines Phallus vielerorts die Hauswände schmückt. Wieso soll ausgerechnet Kunley's Penis Schutz und Glück bringen? Viele Geschichten werden vom Ursprung dieses für uns ungewohnten Bildes erzählt. Lama Drukpa Kunley gilt als Verrückter Weiser, der dank seiner unkonventionellen Art die konservativen Buddhisten immer wieder mit ungewöhnlichen Aktionen überraschte. Seine unerschöpflichen sexuellen Kräfte nutzte er dazu, böse Dämonen zu unterwerfen. So soll er auf dem heutigen Dochola-Pass eine sehr hartnäckige "Witch" für immer und ewig vertrieben haben. Deshalb entwickelte sich die phallische Wandmalerei zur Alltagskunst, die in unseren Gefilden vermutlich mehr Irritation als Verehrung auslösen würde. Die Geschichten Kunley's sind ein Musterbeispiel, wie Traditionen und Phänomene aus Mythen entstanden und vielerorts noch heute gegenüber den wissenschaftlichen Erklärungen bevorzugt werden. 
Im Takin-Park von Thimpu stehen wir vor den gemütlichen Gesellen, die ruhig auf die bevorstehende Fütterung warten. Wir sind so quasi für den Apéro verantwortlich und die Mädchen versorgen sie fleissig mit leckeren "Blue-Pine Nadeln". Sie scheinen an robuste Kost gewohnt zu sein. Beim längeren Beobachten ihrer Mimik bilde ich mir ein, einige typische bhutanesische Charakterzüge wie Sanftheit, Ruhe und Beharrlichkeit zu entdecken. Charakterzüge, die wir auch auf dem Rückweg in die Stadt beim Dartsspiel einer Jugendgruppe wiedererkennen. Mit der Takin-Mimik im Hinterkopf ziehen dann auch wieder Lama Drukpa Kunley's Phallussymbole an den Hauswänden Thimpu's an uns vorbei: Eine skurille, friedliche Atmosphäre, die unspektakulär und authentisch in den Samstagnachmittag hineinströmt. 

Dienstag, 15. März 2011

Kira und Gho

"Kleider machen Leute". Dies gilt in Bhutan nicht weniger als anderswo. Was wir aber am "Tsechu", dem alljährlichen Tempel- und Volksfest von Paro erleben, übertrifft alles Bisherige, was die Bedeutung von traditioneller Kleidung und deren Ausstrahlung angeht. Auf die Frage, was wir denn beim "Tsechu" beachten müssen, hören wir nur eines: Ihr müsst schön angezogen sein. Und so hat es satte 3 Tage gedauert, bis die ganze Familie  mit den "Kiras" für die Mädchen und Mei, eingekleidet war. Das Anziehen vor dem Fest war dann eine so anspruchsvolle Angelegenheit, dass zwei Bhutanesinnen mit uns eine gute halbe Stunde beschäftigt waren. Neben den Damen sah ich dann plötzlich so schmuddelig drein, dass mir der Koch des Hauses spontan seinen persönlichen "Gho" anbot. Da gab es auch für mich kein Zurück mehr.
Vor dem Dzong, der spirituellen und politischen Festung der Stadt halten wir inne. Während ich meinen Schal richte, muss Mei noch auf eine Stola warten, ohne die sie nicht ins Innere des Dzongs reingelassen wird. Trotz der Menschenmenge, die hier heute ein und aus geht, herrscht eine erstaunliche Ruhe. Überall leuchten und lachen Gesichter in der grellen Gebirgssonne. Im Innenhof der altehrwürdigen Dzongmauern schillert ein tanzendes Farbenmeer. Inzwischen haben wir uns an die ungewohnte Garderobe gewöhnt und wähnen uns eins mit den einheitlich bekleideten Bhutanesen. Alle haben heute die schönsten Kiras und Ghos ausgewählt für das grösste Fest des Jahres.
Während 5 Tagen tanzen vor allem Mönche zu Ehren von Guru Rinpoche verschiedenste Tänze, die seit Jahrhunderten in denselben Ritualen vorgeführt werden. Dazwischen sind folkloristische Darbietungen von Volkstänzen eingeflochten. Das Ganze wird umrahmt von einem theatralischen Auflockerung, die Geschichten erzählt und vor allem ältere Leute und Kinder direkt ins Geschehen integriert. Während dem ganzen Tag berieseln Gongs, Glocken, Trommeln und verschieden Hörner das Geschehen.
Mit unglaublicher Ausdauer verfolgen auch die Kinder das bunte Treiben. Ich bin tief beeindruckt von der einzigartigen Stimmung, die über den Kiras und Ghos liegt. Ein Fest ohne Hauch von Kommerz, wir wir es noch nie erlebt haben. Geld fliesst einzig zu Opferzwecken. Verpflegung nimmt jeder in Thermosflaschen und Reisschüsseln mit. Keine Stände, keine Lautsprecher, keine Werbung - einfach nichts, dass an uns gewohnte "Festverhältnisse" erinnert. Ein Reigen von Farben, Geschichten und sanften Gesichtern spielt zwischen flatternden Ghos und Kiras.

Montag, 14. März 2011

Tigerflug

Die Gebirgspferde und Maulesel sind mager, zäh und anspruchslos. Mit Kohlköpfen, Kartoffeln, Bohnen und Reis sind sie bepackt und reihen sich ruhig und brav auf dem Trampelpfad ein Richtung "Tiger's Nest", dem bekanntesten Kloster Bhutan's. Das letzte Pferd beladen wir mit unseren Mädchen. Mit Moma-verklebten Zähnen kommandiert der Pferdehalter die kleine Karawane bergwärts. Es säuselt durch den lichten Föhrenwald, die Sonne wärmt den staubigen Boden so auf, dass die morgendliche Kälte bald vergessen ist. Überall tanzen uns Gebetsfahnen entgegen. Es weht uns eine magische Stimmung ins Gesicht, die von Gebetsmühlen, Glockenbimmeln und Pferdeduft begleitet wird.
Als Guru Rinpoche im 8.Jahrhundert Bhutan zum zweiten Mal besuchte, flog er auf einem Tiger zu den steil abfallenden Felswänden über dem Paro Valley. Das ganze Land litt damals unter der Macht von bösen Geistern, sodass es ihm zukam, diese zu bändigen und zu unterwerfen. Nachdem er die bösen Mächte beherrschte, meditierte er 4 Monate in einer der Höhlen von Paro Taktsang (Tiger's Nest). Er bezeichnete den Platz als "Heiligsten unter den Heiligen". Über die Jahrhunderte hinweg sollte dieser Ort für den bhutanesischen Buddhismus eine enorme Bedeutung beibehalten. Bis heute pilgern jedes Jahr Tausende zu den imposanten Felsen hinauf.
Es ist Sonntag und wir treffen unterwegs vor allem auf bhutanesische Pilger. Nach 2 Stunden haben wir den Znüniplatz erreicht. Zwischen den flatternden Gebetsfahnen erblicken wir vis-à-vis das Tigernest. 50 Mönche bewohnen die Felshänge. Wie Schwalbennester sind Kloster und Wohnhäuser in Fels und Abhänge eingewachsen. Nach einigen Hundert Treppenstufen auf und ab erreichen wir schliesslich unser Ziel. Da gerade Mittagspause ist, teilen wir in einem kleinen Wartesääli mit einer bhutanesischen Pilgergruppe das Z'mittag. Die Stimmung ist beflügelnd, obwohl unsere Mädchen erste Müdigkeitserscheinungen zeigen. Endlich gehen die Klostertore wieder auf und wir steigen in die verwinkelten Räume und Höhlen des "Taktsang". Überall erwarten uns Rituale, in die wir spontan eingeführt werden. Vor allem das heilige Wasser, das hier aus dem Fels sprudelt wird ausgiebig verteilt und verehrt. Räucherstäbchen und Kerzenwachs hüllen den kalten Fels in warmen Geruch. Jahrtausende erzählen aus uralter buddhistischer Praxis und felsigen Mythen. Die Zeit löst sich auf und das Jetzt überwältigt uns. Sogar die Mädchen verstummen. Die Augenblicke fesseln uns an den schroffen Fels, während der Gebirgswind unserse Gedanken zu Tal trägt.
Wieder auf den Treppenstufen auf dem Rückweg tauchen Befürchtungen auf: Es ist schon spät, die Mädels müde und die Pferde sind bereits wieder unten am Weiden. Schaffen wir dies noch ohne grosse Erschöpfungskrisen? Bald lösen sich unsere Bedenken in Luft auf, denn Simea und Lia strotzen plötzlich vor Energie und rennen nur noch. Schliesslich rennen und hüpfen wir den ganzen Weg bis ins Tal hinunter. Bis heute haben wir keine Erklärung für diesen Energieanfall aus dem Nichts. Es war ein Flug auf des Tiger's Flügeln, getrieben vom Fallwind aus den Südhängen des bhutanesischen Himalayas. 

Samstag, 12. März 2011

Wie im Film

Langsam leben wir uns in einer neuen Welt ein, die so beeindruckend auf uns wirkt, dass wir wie betört durch die Gegend wandeln. Landschaft, Leute und Architektur wirken so harmonisch, dass es Simea genau auf den Punkt gebracht hat: "Es ist hier wie im Film". Wir sind bereits nach 2 Tagen Teil geworden dieses Filmes und versuchen unsere Rolle irgendwie zu definieren. Da es hier praktisch keine Westler gibt sind wir die Touristenattraktion für die Einheimischen. Die Blicke, Gespräche und Witze sind sehr angenehm, von einer Sanftmut geprägt, die Grosszügigkeit und Gastfreundschaft in einen lockeren und milden Umgang tragen. Noch nie sind wir auf unserer Reise so einem kulturell einheitlich auftretenden Volk begegnet. Diese Erscheinung auf die Neuankömmlinge ist keineswegs zufällig. Wird doch dieses kleine Königreich behutsam von der grossen Touristenmasse ferngehalten. Trotz der politischen Öffnung und einer langsamen Demokratisierung des Landes wirkt hier ein jahrhundertealter Geist, der den Alltag bestimmt.
Schnell sind wir dank dem oft perfekten Englisch der Bhutanesen sowohl im Kinderalltag wie auch in den politischen Tagesdiskussionen involviert. 
Es ist Sonntagmorgen in der früh. Rauhreif liegt über den braunen Matten und den umgepflügten Reisfeldern. Das nächtliche Gebell der streunenden Hunderudel verklingt allmählich. Die Kälte ist trocken, der Himmel stahlblau und ich spaziere mit unserer Frühaufsteherin Enya durch die Gassen von Paro bis zum Sonntagsgemüsemarkt. Hier herrscht bereits emsiges Treiben. Mit Feuer wärmen sich die Marktfrauen auf. Die meisten sind hier von der unweiten indischen Grenze angereist, um Gemüse und Früchte feilzubieten. Die meisten Gesichter sind halbvermummt wegen der Kälte. Nepali, Inder und Bhutanesen vermischen sich hier zwischen Tomaten-, Kartoffeln-, und Bohnenbergen. Handeln scheint hier Nebensache. Die meisten Verkäufer sind ins Gebet vertieft, währenddem ich getrocknete Äpfel, Bananen und waffelartige Zwischenverpflegung besorge. 
Das sagenhafte Shangri-La, das wir hier antreffen, glänzt natürlich nicht immer goldig, bzw. kennt genügend Probleme, die wir als "Reisende mit Zeit" sofort bemerken. Armut, Alkoholismus, absurde Verbote und Ressentiments gegenüber Nepali oder Tibetern sind nur einige Beispiele, die wir während den ersten Tagen wahrnehmen. 
Der Film hat aber erst richtig begonnen und so sind wir gespannt auf den weiteren Verlauf des Drehbuches. Die bisherige Bilder- und Ideenflut ist jedenfalls vielversprechend.

Donnerstag, 10. März 2011

Klimawechsel


Unsere Drukair-Maschine soll morgen um 04.45 abheben. Es ist 18.30 und noch immer warten wir auf die definitiven Visa für die Einreise nach Bhutan. Der Flug ist gebucht, die Koffern gepackt, eine telefonische Bestätigung für die Einreise angekommen und mental sind wir schon umringt von 7000-ern. Aber das entscheidende Email kommt einfach nicht. Ohne Visa-Nr. können wir in Bangkok nicht einsteigen. Unsere Nerven liegen blank, es ist heiss und wir halten die pausenlose Hektik der Strassenschluchten beinahe nicht mehr aus.
Endlich gegen 21.00 Uhr, der letzte Mailcheck, und das erlösende Attachement ist da! Der Moment ist gekommen, mit einem grossen Thai-Bier die Anspannung der letzten Tage runter zu spülen und die Vorfreude auf die Perle des Himalayas zu richten. Kaum 1 Stunde Schlaf finden wir, bevor wir mit Sack und Pack um 02.00 Uhr aufbrechen. Draussen auf der Strasse ist immer noch der Teufel los: Hitze, Musikdröhnen, betrunkene, herumgrölende Touristen aus aller Welt umringen unsere verschlafenen Blicke. Das Ganze wirkt wie ein surreales Theater auf die vollbepackte Reisegruppe "4girlsand1oergeli".
Schon am Flughafen merken wir, dass Bhutan ein ungewöhnliches Reiseziel ist. Es geht langsam vorwärts, denn bereits beim Check-In werden die Visa geprüft. Neben einer holländischen Film-Crew und zwei älteren Kulturreisenden sind wir die einzigen Europäer. Kein Wunder, nachdem wir nun wissen, wie schwierig es ist, in dieses Land zu kommen, ohne den 200 Dollar-Tagestarif zu bezahlen.
Die Aufregung ist zu gross, als dass jemand schlafen könnte im Flugzeug. Schon bald eröffnet sich gegen Osten hin ein feiner roter Streifen am Horizont, der den Morgen ankündigt. Nach 2 1/2 Stunden beginnt bereits der Sinkflug. Greller Dunst lässt einen die Riesen des Himalayas nur erahnen. Plötzlich aber ragen die verschneiten Gipfel geisterhaft und majestätisch ins Blau. Unsere Maschine schüttelt vorübergehend durch unstabile Luftschichten. Dank dem traumhaften Wetter fliegen wir aber bald ruhig Richtung Paro, dem einzigen Tal Bhutans, das eine Landung mit grösseren Maschinen erlaubt. Nahe ziehen die leicht verschneiten Hochebenen an uns vorbei, das Morgenlicht verbreitet Hochstimmung und lässt vergessen, wie anspruchsvoll dieser Anflug ins Land des Donnerdrachens ist.
Um 7.02 Uhr setzen wir auf der noch im Schatten liegenden Landebahn auf. Auf der Flugzeug-Treppe weht uns ein eisiger Morgenwind entgegen. Irgendwie bleibt uns der Atem weg beim Betreten dieses Landes. Wir haben nicht nur das Klima gewechselt, sondern sind in einer anderen Welt angekommen, einer Welt voller Würde, Ruhe und Magie.

Montag, 7. März 2011

3 Quadratmeter


Sie wohnt mit ihrem Sohn in einem Holzschrank mit einer Grundfläche von ca. 3 Quadratmetern. All ihre Habseligkeiten sind irgendwie in dieser Kleinswohnung aufgehängt, jeder Zentimeter scheint durchorganisiert zu sein. Wie lange wohnt sie schon in dieser Holzkiste, Monate oder Jahre?
Diese Wohnflächen sind unweit von unserem 20 Quadratmeter grossen Hotelzimmer nichts Aussergewöhnliches.
Wandern wir durch die Gassen im Chinatown-Viertel wird uns der Kampf um die Quadratmeter in der Grossstadt noch eindrücklicher vor Augen geführt. Keine Ecke bleibt ungenutzt, kein Tisch zu klein, um Ware feilzubieten, kein Trottoir zu eng, um Kochtöpfe zu installieren. Dem Auge des flanierenden Beobachter wird hier keine Pause gegönnt. Die Gassen brodeln vor Geschäftigkeit. Der chinesische Handelswahn dringt in jede Ritze, das Klima und die Verhandlungsmoral werden härter im Vergleich zum sonst so sanften Thai-Stil.
Die knappen Platzverhältnisse sind eine Tatsache, mit der man sich arrangiert und nicht hadert. Ansonsten würde man hier nach einigen Tagen wohl durchdrehen. Grossstadttempo auf engem Raum verlangt Bescheidenheit in den Ansprüchen nach intimen Quadratmetern. Wir wandeln als völlige Landeier durch diese geballte Enge urbaner Dichte.
Die durchschnittliche Fläche unserer Unterkünfte entspricht ungefähr 25 Quadratmetern. Verglichen mit den schweizerischen Wohnverhältnissen mag dies wenig erscheinen. In diesen Gassen der Millionenmetropole werden aber Platzansprüche so relativiert, dass wir uns dankbar als Privilegierte wähnen. Das südostasiatische Klima weckt einen Lebenstil, der sich hauptsächlich nicht innerhalb der "eigenen" 4 Wände abspielt. Bekanntlich werden so Privatsphäre und das "Zuhause" völlig anders definiert als in kälteren Breitengraden. Obwohl wir uns diesen Gewohnheiten angepasst haben, bleibt das Rückzugsbedürfnis und der Anspruch auf eigene Wände vor allem auch bei den Kindern erhalten. Die Kinder fühlen sich meistens sehr wohl im kleinen begrenzten Territorium, egal ob da Fenster vorhanden sind, ob Geruchsemissionen die Gemütlichkeit verjagen oder Lärm die müden, überhitzten Sinne quält. Scheinbar kennen die Kinder das Gefühl, dass einem die Decke über dem Kopf zusammenfällt noch nicht so ausgeprägt. Unsere Faszination Grossstadt ist momentan am Verblassen und wird abgelöst vom Bedürfnis nach Platz, Ruhe und Weite. Erwartungsvoll blicken wir Richtung Himalaya, um diesem Wunsch nachzugehen.
Haben im Schrankhaus hinter unserem Hotel solche Wünsche überhaupt Platz? Ein Vergleich mit diesem Leben auf 3 Quadratmetern bleibt hart und offenbart uns einmal mehr wie nah Arm und Reich auch im aufstrebenden Bangkok noch nebeneinander liegen. Die Knappheit der Quadratmeter kann sich in so krasse Lebensbedingungen zuspitzen, dass Vergleiche einfacher nur noch "zerplatzen".  

Samstag, 5. März 2011

Zweifellos?

Gemeinsamkeiten zwischen der buddhistischen Tradition und der abendländischen Kultur gibt es viele. Bei der interkulturellen Suche nach Brücken werden diese auch immer wieder hervorgehoben. Ich bevorzuge das Ausloten der Unterschiede, die es zu entdecken und miteinander abzuwägen gilt. Einer dieser Unterschiede wird in den alten Texten immer wieder hervorgehoben: Der Zweifel. Er gilt als Hindernis in der buddhistischen Praxis, als Bremse in der Meditationentwicklung, schliesslich als eine zusätzliche Hürde auf dem sonst schon steinigen Weg zur Erleuchtung.
Nicht so in der abendländischen Philosophie-geschichte: Der Zweifel steht hier als Voraussetzung des genauen Prüfens, als methodische Notwendigkeit des Denkens um Erkenntnis zu erlangen. "Ich zweifle also bin ich" wurde zur Quelle des kritischen Denkens und des Selbstverständnis des modernen Menschen. Der kartesianische Markstein in der Ideengeschichte hat den Zweifel auf einen erkenntnistheoretischen Thron gehoben. Im westlichen Fortschrittsdrang hat sich daraus bis heute die Vernunft als Massstab aller Dinge behauptet. 
Auch im Buddhismus kommt der Erkenntnis und dem kritischen Überprüfen eine wichtige Rolle zu. In vielen alten Schriften aber, wo vor allem die Praxis des buddhistischen Weges erläutert wird, steht der Zweifel selten in positivem Licht. Der pragmatische Zugang zur Welt im Buddhismus ist meistens mit ritualiserten und nicht zu hinterfragenden Weisheiten einer langen, bewährten Tradition verbunden. In den Erfahrungshorizont der Erleuchteten soll jeder Schüler Vertrauen. Die Skepsis der kritischen Vernunft zerfleischt sich hier selber, kommt nicht vom Fleck und verbaut sich im Buddhismus selbst ihre eigenen Möglichkeiten.
Was bedeutet nun der Zweifel für den Reisenden zwischen den Kulturen? Der Reisende ist ständig auf dem Weg, muss sich entscheiden und nach kritischer Abwägung irgendeinmal weiterziehen. Zweifel wirken eher als Bremser, verlangen nach Pausen, Innehalten und Überlegen. Endet dieses Pausieren in einer Skepsis, die handlungsunfähig macht, ist der Globetrotter gut beraten gemäss buddhistischer Anleitung diese Hürde aus dem Weg zu räumen. Ansonsten bleibt der Reisende hängen, um sich in die philosophische Tradition des Westens einzureihen, die nicht wenige Reiseskeptiker hervorgebracht hat. So zum Beispiel Blaise Pascal, der sein Glück in den eigenen vier Wänden auf seinen Gedankenreisen fand.
Reisezweifel werden zur Gratwanderung zwischen östlichem und westlichem Denken, zwischen inneren Gedankenreisen und äusserem Fortbewegen, zwischen den Meditationen von Descartes und der buddhistischen Tradition: Zweifellos immer zwei Seiten des Zweifelns, die beidseits dieses schmalen Grates zwei Abgründe möglicher Verzweiflung öffnen. 

Donnerstag, 3. März 2011

Hitze


Heiss war es auf der zweitägigen Reise von Luang Prabang bis nach Bangkok. Und heiss ist es noch immer. Allerdings hat sich die trockene Hitze von Vientiane Richtung Süden in einen feucht-schwülen Smog verwandelt, der sich heute über Bangkok entladen hat. 
Nach 82 Reisetagen ohne Regen, blitzt und donnert es heute endlich wieder einmal, sodass sich über der Skyline Bangkok's die Wolken entleeren und das drückende Grau vorübergehend weggespült wird. Erlösend wirken die Tropfen sowohl auf dem heissen Pflaster wie auf der schwitzenden Haut. Während die knapp 40 Grad im trockenen Laos aushaltbar waren, wiegen die tropischen 36 Grad Bangkok's schwer auf Gliedern und Geist. Welche Temperaturen erträgt der menschliche Körper, um sich noch ohne Qualen und Leiden bewegen zu können? Auffallend ist, dass ich hier im geschäftigen Bangkok in den vergangenen Jahreszeiten noch nie so viel liegende, ruhende und schlafende Thai's gesehen habe. Auch sie scheinen sich dem Klima hinzugeben, der Natur zu folgen, Energien zu sparen und so wenig Schweiss wie möglich zu produzieren. 
Je länger wir unterwegs sind umso mehr nehmen wir die südostasiatischen Jahreszeiten wahr. Vertraut mit den 4 Jahreszeiten Europas, wird der Zyklus von Wetter, Sonnenstand und Temperatur einer bisher unbekannten Region erst dem Langzeitreisenden oder dem Hängengebliebenen bewusst.
Wir essen wenig, ernähren uns flüssig mit Kokosmilch, verschiedenen Fruchtsäften, Wasser und abendlichem Bier. Hier steigen die Temperaturen noch an bis zum Songkram, dem thailändischen Neujahrsfest am 13. April. Dann finden in der grössten Hitze die Tempelrituale und die alljährliche Wasserschlacht statt, um zu feiern und die bevorstehende Regenzeit einzuläuten.
Wir sitzen momentan im Grossstadtlärm fest, da wir auf das Bhutan-Visum warten. Die ganze Visumsgeschichte hat sich etwas komplizierter herausgestellt, als wir uns dies erhofft haben. Während ich offiziell vom Landwirtschaftministerium eingeladen bin, sind die 4 Girls nun  persönliche Gäste des Konsuls von Thimpu. Dank Diplomatie und persönlichen Beziehungen sind wir zuversichtlich, dass wir in einer Woche in Bhutan sind. Bleibt also genügend Zeit für einige Vorbereitungen und die restliche Reiseplanung unserer verbleibenden 2 Reisemonate. Da die Grossstadt nach wie vor nicht sehr kinderfreundlich ist, sind wir gefordert, die Stimmung mit den Mädels zu halten. Die Energie, die sie irgendwie loswerden müssen, droht manchmal die Hotelwände, die Wassergläser und unsere Nerven zu sprengen. Da sorgt je nach Stimmungsbarometer nicht nur das Wetter für dicke Luft. Einmal mehr eine Übung zum Thema Gelassenheit zwischen Hitze, Donner und drückendem Smog.