Montag, 14. März 2011

Tigerflug

Die Gebirgspferde und Maulesel sind mager, zäh und anspruchslos. Mit Kohlköpfen, Kartoffeln, Bohnen und Reis sind sie bepackt und reihen sich ruhig und brav auf dem Trampelpfad ein Richtung "Tiger's Nest", dem bekanntesten Kloster Bhutan's. Das letzte Pferd beladen wir mit unseren Mädchen. Mit Moma-verklebten Zähnen kommandiert der Pferdehalter die kleine Karawane bergwärts. Es säuselt durch den lichten Föhrenwald, die Sonne wärmt den staubigen Boden so auf, dass die morgendliche Kälte bald vergessen ist. Überall tanzen uns Gebetsfahnen entgegen. Es weht uns eine magische Stimmung ins Gesicht, die von Gebetsmühlen, Glockenbimmeln und Pferdeduft begleitet wird.
Als Guru Rinpoche im 8.Jahrhundert Bhutan zum zweiten Mal besuchte, flog er auf einem Tiger zu den steil abfallenden Felswänden über dem Paro Valley. Das ganze Land litt damals unter der Macht von bösen Geistern, sodass es ihm zukam, diese zu bändigen und zu unterwerfen. Nachdem er die bösen Mächte beherrschte, meditierte er 4 Monate in einer der Höhlen von Paro Taktsang (Tiger's Nest). Er bezeichnete den Platz als "Heiligsten unter den Heiligen". Über die Jahrhunderte hinweg sollte dieser Ort für den bhutanesischen Buddhismus eine enorme Bedeutung beibehalten. Bis heute pilgern jedes Jahr Tausende zu den imposanten Felsen hinauf.
Es ist Sonntag und wir treffen unterwegs vor allem auf bhutanesische Pilger. Nach 2 Stunden haben wir den Znüniplatz erreicht. Zwischen den flatternden Gebetsfahnen erblicken wir vis-à-vis das Tigernest. 50 Mönche bewohnen die Felshänge. Wie Schwalbennester sind Kloster und Wohnhäuser in Fels und Abhänge eingewachsen. Nach einigen Hundert Treppenstufen auf und ab erreichen wir schliesslich unser Ziel. Da gerade Mittagspause ist, teilen wir in einem kleinen Wartesääli mit einer bhutanesischen Pilgergruppe das Z'mittag. Die Stimmung ist beflügelnd, obwohl unsere Mädchen erste Müdigkeitserscheinungen zeigen. Endlich gehen die Klostertore wieder auf und wir steigen in die verwinkelten Räume und Höhlen des "Taktsang". Überall erwarten uns Rituale, in die wir spontan eingeführt werden. Vor allem das heilige Wasser, das hier aus dem Fels sprudelt wird ausgiebig verteilt und verehrt. Räucherstäbchen und Kerzenwachs hüllen den kalten Fels in warmen Geruch. Jahrtausende erzählen aus uralter buddhistischer Praxis und felsigen Mythen. Die Zeit löst sich auf und das Jetzt überwältigt uns. Sogar die Mädchen verstummen. Die Augenblicke fesseln uns an den schroffen Fels, während der Gebirgswind unserse Gedanken zu Tal trägt.
Wieder auf den Treppenstufen auf dem Rückweg tauchen Befürchtungen auf: Es ist schon spät, die Mädels müde und die Pferde sind bereits wieder unten am Weiden. Schaffen wir dies noch ohne grosse Erschöpfungskrisen? Bald lösen sich unsere Bedenken in Luft auf, denn Simea und Lia strotzen plötzlich vor Energie und rennen nur noch. Schliesslich rennen und hüpfen wir den ganzen Weg bis ins Tal hinunter. Bis heute haben wir keine Erklärung für diesen Energieanfall aus dem Nichts. Es war ein Flug auf des Tiger's Flügeln, getrieben vom Fallwind aus den Südhängen des bhutanesischen Himalayas. 

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