Samstag, 19. März 2011

Strange World




Als Lama Drukpa Kunley, der "Divine Madman" über die tibetische Grenze nach Bhutan wanderte traf er unterwegs in einem abgelegenen Dorf auf zwei verletzte Tiere. Die Ziege war am Rücken von einem Steinschlag getroffen worden und ein Yak litt an einer schweren Augenentzündung, sodass es erblindete. Da beide Tiere in diesem Zustand nicht mehr überleben konnten, rettete Kunley die beiden Tiere, indem er den Kopf der Ziege mit dem Körper des Yaks vereinigte. So entstand Bhutan's Nationaltier, das Takin, und Lama Drukpa Kunley entwickelte sich ebenso zu einem Nationalhelden. 
Sowohl das Takin, wie auch Kunley sind noch heute im ganzen Land präsent. Das Takin kann in Logos immer wieder entdeckt werden, während Kunley in Form eines Phallus vielerorts die Hauswände schmückt. Wieso soll ausgerechnet Kunley's Penis Schutz und Glück bringen? Viele Geschichten werden vom Ursprung dieses für uns ungewohnten Bildes erzählt. Lama Drukpa Kunley gilt als Verrückter Weiser, der dank seiner unkonventionellen Art die konservativen Buddhisten immer wieder mit ungewöhnlichen Aktionen überraschte. Seine unerschöpflichen sexuellen Kräfte nutzte er dazu, böse Dämonen zu unterwerfen. So soll er auf dem heutigen Dochola-Pass eine sehr hartnäckige "Witch" für immer und ewig vertrieben haben. Deshalb entwickelte sich die phallische Wandmalerei zur Alltagskunst, die in unseren Gefilden vermutlich mehr Irritation als Verehrung auslösen würde. Die Geschichten Kunley's sind ein Musterbeispiel, wie Traditionen und Phänomene aus Mythen entstanden und vielerorts noch heute gegenüber den wissenschaftlichen Erklärungen bevorzugt werden. 
Im Takin-Park von Thimpu stehen wir vor den gemütlichen Gesellen, die ruhig auf die bevorstehende Fütterung warten. Wir sind so quasi für den Apéro verantwortlich und die Mädchen versorgen sie fleissig mit leckeren "Blue-Pine Nadeln". Sie scheinen an robuste Kost gewohnt zu sein. Beim längeren Beobachten ihrer Mimik bilde ich mir ein, einige typische bhutanesische Charakterzüge wie Sanftheit, Ruhe und Beharrlichkeit zu entdecken. Charakterzüge, die wir auch auf dem Rückweg in die Stadt beim Dartsspiel einer Jugendgruppe wiedererkennen. Mit der Takin-Mimik im Hinterkopf ziehen dann auch wieder Lama Drukpa Kunley's Phallussymbole an den Hauswänden Thimpu's an uns vorbei: Eine skurille, friedliche Atmosphäre, die unspektakulär und authentisch in den Samstagnachmittag hineinströmt. 

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