Donnerstag, 24. März 2011

Ausgezäunt






Es ist drückend heiss. Wie ein kleiner Bunker glüht mir der Grenzstein aus dem ausgetrockneten Waldboden entgegen. Ich stehe zwischen zwei Zäunen auf der Grenze zwischen Indien und Bhutan und blicke mit verstaubten Augen in das Zeltlager der indischen Armee, das hier vor drei Monaten errichtet wurde, um die unsichere Grenzsituation zu beruhigen. Regelmässig werden in diesem dichten Dschungel Leute entführt und angegriffen. Es herrscht pure Anarchie unter den Assam-Aktivisten, die seit Jahren das Gebiet terrorisieren. Deshalb sind sogar meine buddhistischen Begleiter, die Wildhüter und Parkranger von Sarpang, mit Gewehren bewaffnet. Mit zwei grossen Pick-up, vom WWF gesponsert, sind wir heute morgen nach Singye gefahren. Singye ist das letzte Dorf hier am Fuss des Himalaya. Die fruchtbaren und relativ flachen Böden werden von Bhutanesen aus allen Regionen des Landes bewirtschaftet. Die meisten zogen im Rahmen eines grossen Umsiedlungsprojektes des Königs in den Neunziger Jahren hierher. Alle, die sich freiwillig meldeten, erhielten ein Stück Land und ein Startkapital zum Lebensunterhalt. So sind hier neue Dorfgemeinschaften entstanden, die zwischen Hoffnung und Frustration ihre Zukunft suchen. 
Es sind vor allem zwei Übel, die sie in ihrem Alltag während den letzten Jahren beschäftigten: Die unsichere politische Lage und die wilden Elefanten. 
Die Waldelefanten zerstörten jedes Jahr ihre Ernte, manchmal sogar ihre Häuser. Wegen der Wilderei und einem drastischen Rückgang der Waldfläche fliehen sie immer mehr in den bhutanesischen, unwegsamen Dschungel, der nur schwach besiedelt ist und keine Wilderei kennt. So ist der Druck auf die wenigen landwirtschaftlichen Flächen in den letzten Jahren gestiegen. Die Wildhüter schätzen die momentane Population mit Hilfe von Dung-Analysen auf ca. 430 Elefanten. Überall wurden Wachposten auf den Bäumen erstellt, um die nächtlichen Eindringlinge zu vertreiben. Aber Elefanten sind schlau. Sie reagieren auf sämtliche Vertreibungsmethoden, sei es mit Blinklichter, Alarmsirenen oder Schreien sehr clever. Immer wieder schafften sie es, die Farmer zu überlisten. Vor allem junge, einzelne Elefantenbullen sind besonders hartnäckig. Die Farmer gaben viele Flächen auf und zogen teilweise sogar wieder weg. Es musste etwas geschehen, das diese Existenzgrundlagen gesichert werden konnten.
Seit einem Jahr nun umgibt ein 5 km langer, solider Solar-Elektrozaun die über 50 Haushalte. Wir gehen zwischen ausgetrockneten Reisfeldern, Bananenstauden und mageren Kühen dem Zaun entlang. Jrgendwo im Dickicht hören wir Elefanengeräusche, dann wieder Stille. Plötzlich fällt ein Schuss. Ruhig erklären mir die Parkwächter, das sei ganz normal, die Assam-Kämpfer schiessen auf alles, was sich bewegt. Leicht angespannt und nachdenklich begeben wir uns auf den Rückweg, vorbei an alten Elefantenspuren, holzbuckelnden Frauen und einer unbekannten, wunderschön leuchtenden Schlange zwischen den Bewässerungskanälen. Vor einer sehr einfachen Bauernhütte erwarten uns seltsam anmutende Plastiktöpfe. Die Frauen haben für uns den typischen "Tongba" gebraut. Ein leicht fermentiertes Gebräu, das schon nach kurzer Zeit so etwas wie eine "subtropische Gemütlichkeit" verbreitet. Noch lange diskutieren wir über Zäune, Elefanten und das Assam-Dickicht, bis wir vor dem Eindunkeln mit den Pick-Up's nach Sarpang zurückholpern.

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