Dienstag, 7. Dezember 2010

1. Schultag

Die Fahne steigt langsam in den blauen Himmel empor, sowie es vom amerikanischen Patriotismus erlernt wurde. Die weissblauen Schuluniformen leuchten im Morgenlicht und durch die disziplinierten Reihen ertönt das Morgengebet, wie es von den Spaniern mit missionarischem, katholischem Eifer eingeführt wurde. Die Schule beginnt ziemlich pünktlich um 8.00 Uhr. Lia sitzt neben Noelle am kleinen Pult in der vordersten Reihe: Der 1. Schultag und das Ganze erst noch auf Englisch.
Disziplin erscheint auch in den Klassenzimmern von Lagawe als die grosse pädagogische Herausforderung der Lehrer. Vor allem die Boys lachen, schwatzen und versuchen immer wieder ein Katz- und Mausspiel mit der Lehrerin einzufädeln. Am bravsten und aufmerksamsten ist ohne Zweifel Lia, die sich lange auf diesen Moment gefreut hat und mit Konzentration und grossem Respekt sich bemüht, die englische Aussprache so gut wie möglich hinzukriegen. Buchstabenreihen hallen nun in Sprechchören durch die eher kahlen Wände des Klassenzimmers. Lia ist begeistert und stolz. Während der Pause gehts hoch zu und her. Der einzige Kinderspielplatz mit Schaukeln in Lagawe kreischt und quitscht. Obwohl am Ende des Pausenplatzes eine Abfalltrenneinrichtung für Umweltbildung sorgen sollte, ist der ganze Innenhof mit Müll übersät. Die Kinder stört's kaum, die Lehrer scheinen den gewissen Ehrgeiz schon lange verloren zu haben.
Lia integriert sich dank Noelle schnell. Die Englisch-Fetzen werden durch Lachen und dem natürlichen Spieltrieb ergänzt, sodass ein Hauch von interkultureller Idylle aufkommen kann. Dank dem Englisch wird dies möglich, für unsere Kinder ein Glück, für das philippinische Schulsystem zugleich Fluch und Segen. Die englische Sprache ermöglicht eine nationale Einheit und wäre eine solide Basis sowohl für die internationale Zusammenarbeit, wie auch für Tourismus und kulturellen Austausch. Der Alltag der Philippinos lebt aber in den unzähligen einheimischen Sprachen und Dialekten, sodass die Sprachambivalenz einen dauerhaften Graben in ihr Denken und Handeln reisst.
Auf dem Weg nach Baguio erleben wir später, was dies heisst: Vaca! Vaca! schreit ein kleiner Junge aus dem Fenster des Busses, um sogleich von seiner Mutter korrigiert zu werden. "No, no Anthony, this is a cow." Eine doppelte Sprachtragik, weil "Vaca", von den Spaniern geerbt, in Tagalog, eben auch hier Kuh bedeutet.
Lia kümmerts ebensowenig, wie ihre neuen Schulgspändli. Als sie mit Noelle nach Hause kommt, grüsst sie kaum und stürzt sich hochmotiviert in die Hausaufgaben. Die Assignements sind nicht einfach, aber sie beisst sich durch. Wir nehmen an, dass diese Begeisterung nur ein gutes Omen für die zukünftige Schullaufbahn sein kann. Englisch hin oder her!

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