Samstag, 11. Dezember 2010

Headhunting

Mit Martin sind wir unterwegs ins Gebiet der Kalinga, einem Bergvolk, das bis heute seine Identität bewahrt hat. Erfolgreich haben sie sich gegen Kolonialismus, Katholizismus und sonstige westliche "ismen", gewehrt, sodass sie heute eher als eine philippinische Ausnahmeerscheinung die Bergkultur der Mountain-Provinz prägen. Wir fahren durch das imposante Tal des Chico-Rivers, der dank dem politischen Widerstand der Kalinga gegen das Marcos-Regime immer noch durch die grüne Wildheit meandert. Beinahe hätte die faszinierende Landschaft einem riesigen Staudammprojekt weichen müssen. Zwischen steil bewaldeten Hängen, eingefressen im Basaltfels, umrahmt von leuchtenden Reisterrassen, rauscht das glasklare Wasser Richtung Nordosten. Am Oberlauf des Flusses erzählt man sich noch heute die Geschichte, dass einer der Götter aus dem Mt. Kalawitan-Massiv hinabgestiegen ist und eine riesige Schlange, die ihr Unwesen im Gebiet trieb, in den Chico-River verwandelt hat.
Unser Blick schweift gegen den wilden Osten. Martin erzählt uns die Geschichte eines seit Jahrhunderten schwelenden Konfliktes zwischen zwei Dörfern und zeigt auf die rauhen Hänge, wo noch heute die "Headhunter" um Gerechtigkeit und Ehre kämpfen. Aug um Auge, Zahn um Zahn - die hiesigen Bergler zählen immer noch auf die nie endende Blutspirale der Selbstjustiz. Was für den Aussenstehenden archaische Brutalität ist, gehört für die Einheimischen zur sozialen Stabilität, die mit Stolz, Ehre und Gerechtigkeitsinn verteidigt wird. Obwohl anfangs 20.Jahrhundert das "Headhunting" gesetzlich verboten wurde, werden noch heute auf diese Weise Rechnungen beglichen. Einige zaghafte Regelungen, dass Konflikte auch mit dem Austausch von Sachwerten wie  Wasserbüffeln beglichen werden, konnten die Anzahl rollende Köpfe zwar vermindern. Die Tradition, dass derjenige mit den meisten Köpfen vor dem Haus, Macht und Ansehen des Dorfes auf sicher hatte, ist jedoch noch heute in den dicken Schädeln verankert.
Im Reiseführer wird abgeraten, ohne Führer und einheimische Kontakte im Gebiet herumzureisen. Martin, unser Führer, schätzt, dass die unmittelbaren Nachbarn wohl eher das Gebiet meiden sollten, als Touristen, da Aussenstehende schliesslich überhaupt nichts mit den Dorffehden zu tun haben. Trotzdem meint auch er, dass allgemein alle Auswärtigen nicht besonders willkommen sind. Deshalb dringen wir nicht mehr tiefer in diese rauhen Täler vor und machen uns gemächlich auf den Heimweg. Unterwegs lachen, arbeiten und warten die Leute - keine Anzeichen, dass wir uns hier in einem Gebiet befinden, wo geschriebenes Recht kaum zählt und die Moderne an den Ufern des Chico-Rivers versickert ist.