Dienstag, 14. Dezember 2010

Nebelmeer


Es ist 3.30 Uhr im Apa-Valley. Alles schläft noch tief und fest. Der Sternenhimmel funkelt. Die Stille der Nacht umhüllt den dichten Wald. Nur das Rauschen des Flusses bricht die Ruhe. Chester (Jäger, Bauer und Mountain-Guide in Ausbildung) und ich essen lauwarme Reis-und Siedfleischresten mit weissen Bohnen am wärmenden Feuer. Dazu gibt's 3 in one (Zucker, Kaffee und Pulvermilch) zur Stärkung.
Mit Stirnlampe, 4 Liter Wasser und Buschmesser ziehen wir los in den stockfinstern Wald hinein. Die Luft ist noch angenehm kühl. Nur das Rascheln unserer Schritte stört die Nachtruhe. Wir gewinnen rasch an Höhe und erreichen bald die erste Föhrenwaldzone. Trockener Nadelgeruch begleitet uns jetzt im Gegensatz zur moosigen Feuchte der tieferliegenden Bewaldung. Nach 1 Stunde entfachen wir das erste Pausenfeuer, dies scheint unter den Jägern so üblich zu sein. Die Dämmerung verdrängt allmählich unsere Lampen und der Wald erwacht. Dank unserem Minimalgewicht fliegen wir Richtung "Mossy Forest". Weil mein Wecker rund 1 Stunde zu früh lossang, sind wir nun so gut unterwegs, dass wir sogar den Gipfel des Mt. Kalawitan ins Auge fassen können. Die Herausforderung lockt und so überspringen wir Pause 2 und Pause 4. In der "Hunters Hut" gönnen wir uns aber doch eine Verschnaufpause mit Blick in eine undurchdringliche Wildnis im Morgenlicht. Hinter uns tauchen die morgendlichen Nebel über den Tälern ins erste Sonnenlicht und die warmen Strahlen wecken die sich aufreihenden Gipfel gegen Nordosten. 
Die Holzkerben der Jäger dienen uns als Wegmarkierungen, die Bambuskreuze als Warnung und Zeichen für die Fallen, die überall dem Weg entlang immer noch gestellt werden. Wir entdecken Kot der seltenen Cibetkatze und der ebenso seltenen Hirschen. Eigentlich sind alle Tiere hier sehr rar geworden, weil die Jäger noch heute alles verwertbare Lebendige totschiessen. So sind auch die Wildschweinspuren, die wir zwischen vermoostem Wurzelwerk finden eine Rarität.
Der Wald tropft, obwohl die Regenzeit beendet ist. Die Unmengen von Moos und Flechten nehmen auch das Wasser auf, das durch den täglichen Nebel und den Tau hängenbleibt. Bis 30% mehr Wasser speichert deshalb der "Mossy Forest" im Vergleich zu den übrigen Bergwäldern. Die trockenen Föhrenzonen liegen tief unter uns, die Luft wird kühler, der Wind stärker und die Vegetation niedriger. Kurz vor dem Gipfel verlieren wir die Holzkerben der Jäger und irren für eine Weile durch eine bizarre Wildnis. Chester wirkt ruhig, gelassen und konzentriert, sodass wir plötzlich auf der Lichtung des dritthöchsten Gipfels der Philippinen stehen: Nach 3 1/2 Stunden Aufstieg und 1700 Höhenmetern in dichtem, manchmal unheimlich anmutenden Märchenwald, erblicken wir ein riesiges Nebelmeer über den "Low Lands" Richtung Südosten. Ein metaphysischer Augenblick der Freiheit, der unser Durst und die leicht überstrapazierten Beine vergessen macht.