Donnerstag, 9. Dezember 2010

Kindisch

Ohrenbetäubend ist das Gequietsche der rostigen Schaukeln und das Gekreische der Kinder auf dem einzigen Spielplatz von Bontoc. Die Rutschbahnen sind überfüllt und es wird geduldig Schlange gestanden. Lia, Simea und Enya mischen sich unter die Menge. Unmöglich, dass diese 3 Blondinen nicht auffallen, werden sie bald von einer grossen Kinderschar umringt, die mit neugierigen Augen die ungewohnten Gesichter mustern. Trotz den äusserlich offensichtlichen Unterschieden sind hier mehr interkulturelle Gemeinsamkeiten anzutreffen als anderswo: Kinder verbinden Kulturen auf ganz natürliche Weise ohne nach universellen Werten oder Argumenten zu suchen.
Die Philippinos sind ein ebenso kinderreiches wie auch kinderfreundliches Volk. Überall werden unsere Kinder mit offenen Armen und Lachen empfangen. Was diese Kontakte bei den Philippinos angenehm macht, ist eine gewisse Zurückhaltung, die sie aus Unsicherheit oder Respekt ausüben. Neben dieser für uns angenehmen Distanz verhalten sich oft auch die Eltern wie Kinder, sodass die ganze Gesellschaft manchmal wie ein riesiger Kinderspielplatz erscheint. Emotionen sind wichtig, Argumente zählen, wenn überhaupt nur wenig und die Gesichter strahlen Herzlichkeit und Spontanität aus. Die Kehrseite dieser Kindertugenden im Erwachsenenalter sind ebenso offensichtlich: Planung, Organisation, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein bleiben meist Fremdwörter.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Philippinos ein riesiger Kindergarten sind, ein Volk das in den Kinderschuhen steckengeblieben ist. Verständlich wird diese Feststellung durch die ständige Fremdherrschaft seit Jahrhunderten. Nach den Spaniern und den Amerikanern hat die Globalisierung die Philippinen so vereinnahmt, dass sich keine "erwachsene" Identität bilden konnte.
Die Mimik der Leute auf Fragen und Antworten ist von emotionaler Betroffenheit und rationaler Apathie geprägt. Dies bedeutet unter anderem auch, das irgendwie nichts wirklich ernst genommen wird. Schicksalsglaube paart sich mit Gelassenheit oder Gleichgültigkeit. Daraus entsteht das Gebot: Du musst mit dem Schlimmsten rechnen, kannst aber auch auf das Beste hoffen. Alles ist möglich durch eine Art Zufallsprinzip, das entweder von der unsichtbaren Hand nationaler und internationaler Machteliten oder von Gott gesteuert ist. In diesem kindlichen System der Willkür bleibt oft nur noch die Hilfe übernatürlicher Kräfte. Nur so kann die trotz allem verlorene Sorglosikeit der Kindheit in Hoffnung verwandelt werden.