Montag, 20. Dezember 2010

Arbeitsmoral

Wer kennt sie nicht, Heinrich Boells Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral aus den 60-iger Jahren: Der Fischer und der Tourist sitzen zusammen am Strand und schauen ins offene Meer hinaus. Der Tourist, der hart gearbeitet hat, um Ferien zu machen, erreicht das vermeintliche Nichtstun am Meer, so wie der Fischer eben dieses geniesst waehrend seinem Arbeitsalltag. Fuer den Touristen ist es zuerst unbegreiflich, wieso der Fischer nicht noch mehr Fische faengt, um dann spaeter einmal verreisen zu koennen. Am Schluss muss er aber nachdenklich schweigen, um sich und sein Aktivismus, bzw. seine Arbeitsphilosophie ja sogar den Sinn des Lebens zu hinterfragen.
Am Strand von San Fernando entlang schlendernd treffe ich einen solchen Fischer, der gerade im Schatten sitzt und genuesslich eine Zigarette raucht. Ich frage ihn, wie es denn so aussieht mit den Fischen, lanciere den ueblichen Smalltalk des interessierten Touristen und staune ob seiner grenzenlosen Ruhe. Er warte, erklaert er mir, er warte, bis das Meer ihm die Fische bringt. Mehr gibt es nicht zu tun. Tatsaechlich fuellen die Gezeiten die Netze, ohne dass der menschliche Wille gross das Geschehen beeinflussen koennte. Entweder sind die Fische da oder eben nicht. Und wenn sie nicht mehr da oder immer seltener da sind? Tja dann wird gewartet, weil sie irgendwann seit eh und je immer wieder gekommen sind.
Die Ruhe truegt hier im ehemaligen Sperrgebiet der amerikanischen Armee. Der Strand wird schmaler, der Meeresspiegel steigt, die Fische sind kleiner geworden, die grossen Faenge seltener und Alternativen zum Fischen gibt es wenige. Es fehlen ebenso touristische wie sonstige wirtschaftliche Perspektiven. Das Gebiet wirkt eher wie ein Abstellgleis oder ein Altersheim ohne Glaube an eine bessere Zukunft. Zudem dominieren hier weisse, graue Herren die Strandszene. Mei ist in dieser Region eine absolute Raritaet. Ausser am Wellenreiterstrand von San Juan, da tauchte naemlich eine nordlaendische Blondine auf, ist weit und breit keine europaeische Frau zu sehen. Ueberall nur immer dasselbe Bild: Aeltere, gesetzte, graue Herren mit jungen, laechelnden Philippina zur Seite.
Ich schaue wieder ins Meer hinaus und analysiere mit Jim, einem englischen Lehrer aus Hongkong, die philippinische Eigenart, die Tragik des Fischens und die Tuecken der westlichen Arbeitsmoral. Die philosophische Ueberlegenheit des Boell'schen Fischers schmilzt dahin. Die Meeresromantik loest sich auf in der Tragik des philippinischen Volkes, wo sich die Ruhe und Gelassenheit laengst in Lethargie und Apathie verwandelt hat. Wer glaubt hier noch an den grossen Fang?

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