Donnerstag, 10. Februar 2011

Ausschlafen

Körper und Geist brauchen eine gesunde Mischung von Anspannung und Entspannung, um vital und dynamisch zu bleiben. Metaphern gibt es genug, um diese praktische Erkenntnis zu untermauern. Sei es beim Bogenschiessen oder beim Harfenspiel, die richtige Spannung entscheidet über Harmonie und Treffsicherheit. Die Laoten scheinen bei diesem Spiel vorallem die Kunst der Entspannung zu zelebrieren. Überall stossen wir auf schlafende Menschen zu allen Tageszeiten. Ob Tuk-Tuk-Fahrer, Bankangestellter oder Reisbauer, alle schlafen, sobald nicht gleich Arbeit ruft. Und weil es oft fehlt an Arbeit, gibt es genügend Raum für Entspannung. Ist dies ein Zeichen von Unterentwicklung, ein Relikt aus kommunistischen Zeiten oder einfach ein "Way of Life"? Nehmen wir Buddha's Worte Ernst, dass das Leid der Welt der rastlosen Geschäftigkeit entspringt, können wir dieses laotische Dösen auch als Lebensqualität verstehen. Eine Lebensqualität, die sich in keinen Statistiken äussert, da sie sich weder in Pro-Kopf-Einkommen noch in Produktivitätswachstum ausdrücken lässt. 
Zur Langsamkeit von Laos gesellt sich also eine Schlummer-Mentalität, die inzwischen unseren Alltag hier prägt. So haben gestern Lia und Mei vergebens auf den Fährmann gewartet. Dieser schlummerte unter einem Tamarindenbaum am anderen Ufer. Deshalb mussten sie den Fluss zu Fuss und schwimmend überqueren, was dank der momentanen Trockenzeit ohne grosses Risiko möglich war. Wir befinden uns zur Zeit im Elefantencamp, ca. eine halbe Std. ausserhalb Luang Prabang's. Die Geschäftigkeit hier auf dem Lande ist auf die wesentlichen Grundbedürfnisse reduziert. Die Landwirtschaft sorgt normalerweise für einen minimalen Druck, sich zu bewegen, etwas zu tun. Doch herrscht momentan Trockenzeit und auf den kleinen Parzellen im Wald sind nur wenig Leute anzutreffen. Die Nächte sind kühl und dank der mageren Beleuchtung noch etwas länger als in der Stadt, was auch uns ausgeschlafene Glieder und Gedanken beschert. Unterhaltungsmöglichkeiten, inklusive Internet fehlen, einmal abgesehen vom Fernseher, der selbst in sehr abgelegenen Dörfern die Hauptverbindung zur Aussenwelt bedeutet. Die Mobilität ist äusserst eingeschränkt und das Schlummern im Schatten scheint die beste Beschäftigung zu sein, um die Zeit aufzulösen. Im Spiegel meiner Reisebrille frage ich mich, ob das Nichtstun als Fluch oder Segen, als Tragik oder Komik, als Armutszeugnis oder Zufriedenheitsindikator zu deuten ist. Die Laoten wirken jedenfalls überall und zu beinahe jeder Tageszeit ausgeschlafen und strahlen Ruhe aus. Eine Ruhe, die sowohl beneidenswert wie auch trügerisch sein kann, kommt ganz drauf an, welche kulturellen Massstäbe wir ansetzen.

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