Montag, 28. Februar 2011

Der Königspalast

Franz Kafka's "Das Schloss" gehört nicht nur zu den schwierigeren Werken der deutschen Literatur, das Werk ist auch eine tragisch-komische Metapher für den kuriosen, unvorhersehbaren Lauf der Dinge. Für Kafka's tragischen Helden wird das anfänglich so banale Unternehmen, zum Schloss zu gelangen, allmählich ein unmögliches Unterfangen. So kann es einem überall und zu jederzeit ergehen, auch auf Reisen.
Der Königspalast Luang Prabang's bildet das symbolische und architektonische Herz der Stadt, umgeben von den vielen, sehr alten Tempelanlagen. Für jeden Besucher der Stadt gehört dieser Bau, der zu einem eher schlichten als prunkvollen Museum umgenutzt wurde, zum absoluten Muss des Touristen-Programms. Seit die kommunistische Revolution 1975 die Monarchie in Laos beendet hat, blieb hier nur noch wenig übrig von einstigem königlichen Glanz. Trotzdem bleiben die vergangenen Zeiten in den gut erhaltenen Mauern noch so präsent, dass sich ein letzter Hauch von Monarchie hartnäckig in der Altstadt behauptet.
Auch wir wollen uns einen Besuch nicht entgehen lassen, denken wir. Doch bald merken wir, dass dieses Unterfangen uns irgendwie entgleitet. Der erste Versuch fällt den kurzen Öffnungszeiten, der zweite einem Feiertag und der dritte einem kollektiven Hungerast unserer Mädchen zum Opfer. Nach diesen gescheiterten Versuchen, den Königspalast zu erreichen, schwindet unser Interesse an einem Besuch zusehends. Wir rutschen in die Tempelwelt und den provinz-städtischen Alltag hinein, sodass sich unsere Aktivitäten immer weniger am touristischen Angebot orientieren. Wir leben uns, ebenso wie sich Kafka's Held unter die Dorfleute mischt, immer mehr ins Quartierleben ein.
Kafka's Schloss und unser Königspalast dienen dem Reisenden, jenen Moment zu verstehen, wo die Normalität und der Alltag langsam Überhand nehmen gegenüber dem Aussergewöhnlichen, dem "Ausnahmezustand". Der Fremde rutscht dann nämlich in eine Realität, von der er sich zuerst als Aussenstehender abgegrenzt fühlte. Von der Aussenansicht eines Ortes wechselt er zur Innenperspektive. Weder Stadtplan noch Kamera gehören zu seiner Ausrüstung, sondern Einkaufskorb und Pendenzenliste. Die Ferne oder Unerreichbarkeit des Königspalasts stehen für das Entstehen einer neuen Normalität, einer anderen Wahrnehmung der Dinge, der Menschen und der Zeit.
Weder unser Königspalast noch Kafka's Schloss dienen aber als vollendete Metapher: Kafka's Geschichte bricht nach längeren Dorfgesprächen weit entfernt vom Schloss ab und wir besuchen den Königspalast kurz vor unserer Abreise doch noch, fast zufällig...

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