Montag, 31. Januar 2011

Gesichtsbücher


Wenn meine Blicke durch die Internetreisewelt schweifen und ich all die leicht verkrampften, konzentrierten Gesichter beobachte, dann sehe ich auf mindestens jeder zweiten Bildschirmoberfläche dasselbe Layout: Facebook! Das weltumspannende soziale Netzwerk hat beängstigende Ausmasse angenommen, die an George Orwell und Aldous Huxley erinnern.
5'480'000'000 mal in 0,9 Sekunden findet Google das Wort "Facebook. Dies bedeutet fast doppelt so viele Treffer, wie für "Google" selber und beinahe ein Treffer pro Erdbewohner. Überall liegt das offene Gesichtsbuch, das sich scheinbar grenzenlos vervielfacht und andauernd Geschichten produziert im Echtzeittempo. Ein Buch ohne Anfang und Ende, ein Blick in die grenzenlosen Möglichkeiten der virtuellen Welt, die rasante Ausdehnung einer sozialen Explosion, ein Labyrinth, indem Jose Luis Borges' unendliche Bibliothek in Bildern sich wiederfinden lassen würde.
Fluch und Segen des virtuellen Paralleluniversums können den Globetrotter nicht unberührt lassen. Mir graut es ob so viel Gleichförmigkeit, so viel oberflächlichem Geschwafel, so viel Zeitfresserei und Energieverlust. Als ob uns das reale Leben nicht genug abverlangt, oder wir nicht ausreichend kommunizieren würden. 
Viele Kontroversen und Diskussionen wurden und werden noch ausgetragen zum Thema "Facebook" und es gibt zahlreiche Argumente, Facebook als Fluch in die Pfanne zu hauen oder als Heilsbringer hochzujubeln. 
Die Erfahrungen auf den Philippinen haben mir eines klargemacht: Für weite Kreise einer relativ armen Bevölkerung ist das Internet die einzige Reisemöglichkeit und Facebook der billigste Treffpunkt, Beziehungen über das eigene reale Dorf hinaus zu unterhalten. An den meisten Orten, wo wir hinkommen, ist nicht mehr Email gefragt, sondern Facebook. Da auch Lia schon öfters gefragt wurde wegen ihrer Facebookseite, dachte ich mir, ich könnte ja für meine Tochter ein Account eröffnen, zwecks Austausch für Reisekontakte. Da musste ich dann zuerst feststellen, dass Kinder unter 13 Jahren noch nicht zugelassen sind. Natürlich ist es möglich, dies zu umgehen und so habe ich trotzdem ganz naiv eine Seite für Lia erstellt. Da ich ein überzeugter "Nicht-Facebooker" bin, konnte ich auf diese Weise meine latente Neugier doch noch stillen. Schon bald erhielt ich dann regelmässig Nachrichten, die ersten Freunde und der übliche Kommunikationsmüll, der zu einem solchen Netzwerk eben gehört. Gestern erhielt ich eine freundliche Nachricht, dass auf der Facebookseite von Lia Sophia Sauser "verdächtige Aktivitäten" festgestellt wurden und das Konto gesperrt wurde. Diese Nachricht war für mich die Erlösung: Was ursprünglich aus einem sozialen Gedanken entstand, hat sich innert kürzester Zeit in ein Gefühl der Verpflichtung und der Abhängigkeit verkehrt. Eines aber hat uns dieser Test im Buch der Gesichter gelehrt: Irgendwo funktioniert ein gewisses Kontrollsystem glücklicherweise so gut, dass dies ein positives Argument für die Facebook-Gemeinde liefert. Als Skeptiker gebe ich mich vorerst mal geschlagen: 1:0 für Facebook!  

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