Mittwoch, 10. November 2010

Sonntagslos

Wieder sind wir ins Bangkok-Chaos zurückgekehrt, die Luft ist so stickig, dass das Einatmen auf den Tuk-Tuk-Taxis zur Qual wird. Nach dem gemächlichen Insel- und Strandrhythmus treffen wir hier auf ein wohltuendes Weltstadttempo. Nach einer angenehmen 12-stündigen Fahrt im Nachtzug sehnen wir uns nach der Grossstadtstimmung mit all den Farben, Gerüchen und Tönen, die zum sowohl asiatischen wie auch kosmopolitischen Mix in der Thai-Metropole gehören.
Unterwegs Richtung Norden versuchte ich wieder einmal den momentanen Wochentag zu eruieren. Ist es Mittwoch oder Donnerstag? Eigentlich ja egal, abgesehen vom fixen Flugtermin, den wir nach Manila gebucht haben. Wochentage oder Daten sind inzwischen eher Zeitdekoration als Orientierungshilfen für uns Reisende. Werktage oder Feier-, geschweige denn Sonntage scheinen momentan nur selten eine Unterscheidung wert zu sein. Da nun auch die im Rhythums der Erwerbstätigkeit so wichtigen Sonntage fehlen, stellt sich die Frage nach den Ruhetagen. Die Geschäftigkeit des uns umgebenden Alltags richtet sich nur vereinzelt nach meist religiös bedingten Ruhepausen. Sowohl der Islam wie auch der Buddhismus integriert diese Ruhephasen in den Alltag in Form von Meditationen oder Gebeten. Ruhen bedeutet also "in sich gehen", vom Alltag Abstand nehmen. Vor dem christlichen Hintergrund des 7. Schöpfungstages als Ruhetag, scheint der Sonntag die passende Pause abzugeben. Trotz all den Riten, Feiertagen und Regelwerken in den asiatischen Weltreligionen ist für den Reisenden kein "Ruherhythmus" offensichtlich. Was aus der abendländischen Tradition zum Gregorianischen Kalender und zu den Wochentagen geführt hat, brachte dieses systematische Sonntags-Ausruhen in unseren gewohnten, westlichen Lebensrhythmus. Was nun, wenn wir als Reisende diesen Vorgaben nicht mehr folgen wollen oder müssen? Werden wir ruhelose Suchende, vom Unterwegs-Sein Gestresste oder übermüdete Konsumgeister? Wie sieht die Work-Life-Balance ohne Arbeit aus?
Sich ausserhalb gewohnter Konventionen bewegen heisst auch, neue Strategien zu einem inneren Ruhe-Gleichgewicht zu finden. Für meine Gleichgewichtsstrategie bleibt die Religion die beste Inspiration. Die alltäglichen Ruhepausen sowohl des Islam wie auch des Buddhismus binden dieses Gleichgewicht tagtäglich so in den Alltag ein, dass Gebet und Meditation einen offiziellen Ruhetag in den Hintergrund drängen.
Beim heutigen Besuch des riesigen goldenen Buddhas in Bangkok sitze ich einen Moment lang mit etwa 40 Geschäftsleuten, einigen Touristen und fliegenden Händlern vor einer Stupa, wo sich alle in Meditation versunken vom Alltag erholen: Ein Ruhepol im Grossstadtgetümmel, das auch dem Reisenden Inspiration und Energie spendet auf der Suche nach dem verlorenen Sonntag.