Sonntag, 24. Oktober 2010

Dschungelgrün

In diesem Grün lösen sich die Jahreszeiten auf. In einer Farbe gehen hundertfach die verschiedensten Töne auf. Es tropft, und wir wandern im Fluss, dem einzigen gangbaren Weg durch das Dickicht. Angenehm kühl wirkt die leichte Strömung des klaren Wassers. Talaufwärts an Baumriesen und Lianenformationen vorbei vergessen wir die Zeit in den kleinen Wundern, die der Regenwald bereithält. Bei jedem Fund eines riesigen Käfers, eines schillernden Schmetterlings oder einer Ameisenstrasse staunen die Mädchen um die Wette. Enya's Lieblingswort ist seither nur noch Wow, Waaaaaauuuuh! Je nach Stimmung ist dann wirklich jede kleine Entdeckung ein ausgedehntes "Wauh" wert. In eben diesen kleinen Details und der immensen Vielfalt verbirgt sich ein Ökosystem, das sich oft unspektakulär zeigt, aber durch die Bedeutung seines Gesamtsystems zu einer wahren Schatztruhe wird. Grosse Säuger und spektakuläre Arten sind eher dünn gesät, dafür ergänzen sich die Kleinen, oft unscheinbaren Pflanzen und Tiere perfekt zu einem sanften, riesigen Orchester, das uns mit Pfeifen, Zirpen und Surren durch das Grün begleitet.
Unterwegs biegt ein kleiner Pfad plötzlich ab vom Flusslauf. Es soll sich da noch irgendwo eine Höhle verstecken mit Fledermäusen und Schlangen, wow... also biegen wir ab. Unweit vom Rauschen des Flusses stehen wir in einer riesigen mit Tropfsteinen und Wurzelwerk durchzogenen Grotte, die sich in den Hang hineingräbt. Mit Stirnlampe folgen wir auf glitschigem Boden den Spuren der letzten Besucher. Die Mädchen haben grossen Respekt sowohl vor der Dunkelheit, wie auch vor der Wucht des Felsens. Keine Schlange, keine Fledermaus, alles halb so wild. Draussen empfängt uns wieder ein freundlich grüner Vorhang, ein kurzer Schauer, eine wohltuende Dusche, zieht vorüber. Nach einer Stunde Flusswaten erreichen wir den langersehnten Wasserfall: Endstation für den Wanderer und "Dschungel-Spa" oder grüner Wellnessort für die wohlverdiente Erfrischung. Umgeben von Lianen, Moos und einem undefinierbaren Rattern eines uns unbekannten Waldbewohners ziehen über dem hohen Blätterdach pechschwarze Wolken für das bevorstehende Tropfkonzert auf. Ausgerüstet mit Schirm, periodisch geschützt von mächtigen alten Baumweisen schaffen wir den Rückweg mit einer schnarchenden Enya auf dem Rücken und aufgeweichten Füssen und Gedanken. Der Wald verlangt Respekt. Die hiesigen Insel-Thais wissen mit diesem fair umzugehen. Der Nationalpark, der Ökotourismus und die verschiedenen kleinen Projekte, die hier laufen, zeugen von einem nachhaltigen Umgang mit der sehr beschränkten "Inselressource" Wald. Wir sagen "Danke", spenden einen Beitrag zur Wiederansiedlung des kleinsten Hirsches der Erde, dem "Mouse-Deer", und ziehen ab.