Donnerstag, 28. Oktober 2010

Alp auf die Insel


Beim Anblick der selten zu findenden Kühen auf dieser Insel muss ich unweigerlich an die vergangene Alpsaison zurückdenken. Ein weiterer bewegter Sommer liegt hinter uns und die Geschichten, Bilder und Kapriolen von A wie Alpauffahrt bis Z wie Zahltag sind zwar bereits in den Hintergrund gerückt, bleiben aber jederzeit abrufbar.
Unser Abreisetermin zur 8-monatigen Zwischenalpzeit fiel vielleicht nicht ganz zufällig auf den wohl wichtigsten Alpabfahrtstermin, dem eidgenössischen Dank,- Buss,- und Bettag. Bei unserer rollenden Reiseplanung entwickelte sich bald ein "ab auf die Insel" und nun sind wir seit bald über einem Monat im Süden Thailands, auf einer Insel, wo Alpspuren scheinbar nur noch im entferntesten Sinn spürbar sind. Die Kühe sind mager, Tierschutz ein Fremdwort und die Landwirtschaft darbt neben dem boomenden Tourismus dahin. Nutz- und Haustiere spielen, abgesehen von den dauerpräsenten Hauskatzen und Singvögel eine völlig untergeordnete Rolle. Bäume dominieren hier die Nutzung: Gummibaumpflanzungen, Palmölplantagen und die ganze Palette der Tropenfrüchte werden kultiviert, tendenziell eher extensiv auf kleinen Flächen in schwierigem Gelände, umgeben von dichtem Dschungel. Auch wenn alles feuchtet, grünt und spriesst, so richtig saftige Weiden sind höchst selten anzutreffen, statt Käse sind Mangos angesagt und an Brot oder Wurst denkt man besser nicht.
Um nicht zu stark in kulinarische Nostalgie zu verfallen, drifte ich gedanklich ab zur Inselmetapher des einsamen Südseeparadieses. Dabei entdecke ich unverhofft gewisse Parallelen zur Alpwelt: Sowohl Verklärung und Tendenzen zur Idealisierung des Insel- und Alplebens wie auch die Freuden und Leiden eines kleinen, klar eingegrenzten Territoriums lassen Ähnlichkeiten erkennen. Deshalb grabe ich weiter: Ab auf die Insel oder ab auf Alp? Beide können als Fluchtort, als "Utopia" sowohl soziale Experimente, wie auch Sehnsüchte entstehen lassen. Beide können sowohl Freiheit wie auch Gefangensein bedeuten. Beide sind Projektionsflächen für Zivilisationsüberdruss wie auch Repräsentanten eines nicht einfach zu bewältigenden Alltags. Und beide sind den Launen der Natur so ausgesetzt, dass die natürlichen Ressourcen schnell zur Überlebensfrage werden können.
Was auf den ersten Blick klimatisch, topografisch und kulturell so unterschiedlich erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen zu einem gemeinsamen symbolischen Knoten. Ungewillt befinde ich mich plötzlich auf einer Alpinsel oder einer Inselalp, wo mich ein Gefühl von Schicksalhaftigkeit erschaudern lässt. Aufhorchend nach einem Munggenpfiff steigt mir Mistgeruch in die Nase während der Monsun die Kokospalmen plagt. Weder Heu noch Lab dafür frische Kräuter aus dem lianenbehangenen Dickicht. Zwei Welten finden und treffen sich.