Montag, 18. Oktober 2010

mangroven und gezeiten

"Mit dem Longtail-Boot" durchqueren wir die Wildnis von Ko Noi, einer unbewohnten, fast nur aus Mangrovenwald bestehenden Insel. Das Meer zieht sich langsam zurück. Wir werfen unsere Krabbennetze aus, um sie in einer Stunde wieder einzuziehen und rattern an freigelegtem Wurzelwerk vorbei durch eine scheinbare Monokultur von schwarzen Mangroven. Ein hochspezialisiertes Milieu, dass sich auf den Rhythmus der Gezeiten optimal eingestellt hat. Mit dem Absinken des Meeresspiegel kommt eine morastige Landschaft zum Vorschein, ein Universum von Kleintieren, die sich sowohl im Wasser, wie an Land wohlfühlen, bzw. clevere Überlebensstrategien entwickelt haben. Millionen von Krabben verschiedenster Grössen und Formen, Froschfische oder Fischfrösche, Larven, Spinnen und verschiedenstes tropisches Gezirpe und Geschwirre, sowie dumpfes Blubbern und helles Krächzen bilden eine Kulisse von bizarrer Schönheit. Dieses Biotop hat sich den Kräften zwischen Mond und Erde hingegeben und eine Nische geschaffen, die uns auf den ersten Blick eher lebensfeindlich erscheint. Alle 12 Stunden und 25 Minuten feiern dessen Bewohner Wasserhoch-, oder tiefstand, je nach bevorzugtem Element, zweimal am Tag dieselben Lebensbedingungen, ansonsten ständiger Wechsel im Bann von Ebbe und Flut.
Wir stossen auf Untiefen, auch für den Menschen gibt es durch diesen Rhythmus unpassierbare Passagen und manchmal böse Überraschungen. Die Zentrifugal- und Gravitationskräfte wirken in einem Kräfteverhältnis, das sich um den Schwerpunkt zwischen Sonne und Mond bewegt. Durch Mondphasen sowie durch Küstenstrukturen, Strömungen und Meerengen kommt es zu enormen lokalen Unterschieden, die wir hier in Thailand eindrücklich jeden Tag erleben. Das Meer atmet im Tagesrhythmus, zweimal ein und aus, erscheint mir die kindertaugliche Erklärung. Die Details der Gezeiten sind komplex und nicht bis ins Detail geklärt, obwohl Wikipedia ziemlich gut Bescheid weiss. Die Faszination bleibt sowohl für die angepassten Überlebenskünstler im süsssalzigen Sumpf, wie auch für die kosmologischen Kräfte, die am Werk sind, weil noch nicht alle Antworten auf die Fragen nach den Gezeiten gegeben sind.
Inzwischen sind wir zu den Krabbenfallen zurückgekehrt und Lia und ich fischen eine nach der anderen raus: Bei der ersten kommt nichts raus, bei der zweiten die erste Krabbe und bei der dritten gleich drei. Insgesamt bringen wir acht grössere Krabben zur Anlegestelle, wo uns diese bei einer lauschigen kleinen Fischzucht gleich zubereitet werden. Mit ein wenig Mitleid klauben wir das zarte, aber gut versteckte Fleisch unter den Krabbenpanzern hervor und in diesem Moment wird mir bewusst, wie genial diese Tiere ausgebaut sind, als Überlebenskünstler dieses wilden und doch irgendwie sanften Mangrovenwaldes.