Sonntag, 10. Oktober 2010

Enthüllung

Das Meer kocht vor Wut. Schaumkronen tummeln sich in der aufgebrachten See. Die Tropen zeigen sich melancholisch verhangen und an diesem Sonntagmorgen entdecke ich auf dem Morgenspaziergang entlang der Brandung ein Müllstreifen, wie ich ihn hier noch nie gesehen habe. Durch die veränderte Strömung spucken die Wellen nun Berge von Meermüll aus. Eine Art Rache der beleidigten See gegenüber all den strandsuchenden Touristen, die Abfallberge auf diesen Inseln zurücklassen. Das Meer bringt an diesem Morgen Hunderte von Petflaschen, Flip-Flops und vor allem Accessoires aus der Toilettentasche wie Zahnbürsten, Rasierschaum, Tampons, Duschmittel und Haarsprays. Erste Petsammler sind bereits am Zusammenräumen, füllen Säcke und bilden kleine Müllhaufen. Die offizielle Strandputzequipe des nebenan liegenden Luxusresort wird erst im späteren Vormittag auftauchen.
Der Meermüll, wie er hier vorübergehend die Strandromantik stört, erinnert an die gewaltigen Mengen vor allem von Plastikmüll, die auf hoher See treiben. Selten wird diese riesige Müllhalde sichtbar. Hier in Südthailand ist es vor allem die Monsunzeit, welche jene Strömungen mit sich bringt, dass sich vielleicht ein Abfallbewusstsein mindestens vorübergehend entwickeln könnte. Aber schliesslich will niemand das Meer als Müllhalde wahrnehmen. Lieber die Erinnerung an den eigenen Abfall mit einem Drink wegspülen oder die PET-Flaschen zu Hause wieder schön brav an die Sammelstelle bringen.
Der grösste Anteil des im Meer angesetzten Plastik ist glücklicherweise für die meisten unsichtbar, weil sich die winzigen Plastikkörnchen, die sich im Meer nicht mehr zersetzen zwar überall festsetzen, aber eben kaum wahrnehmbar sind. Inzwischen sind die Partikel bereits Bestandteil der Meernahrungskette, haben sich rund um den Globus in jeder Küstenecke festgesetzt und zählen zu den am schwierigsten abbaubaren Substanzen, die von der Menschheit hergestellt werden. Neben dieser fast unsichtbaren unwiderruflichen Plastikinfiltration in den Weltmeeren, bilden sich besser sichtbare Plastikinseln auf den Meeren, die durch Strömungen kleinere oder grössere Inseln bilden können. Diese Inseln können zu treibenden Plastikkontinenten anwachsen, wie sich der wohl bekannteste und grösste im pazifischen Ozean zwischen Südamerika und Neuseeland gebildet hat. Dessen Ausmasse sind so gigantisch, dass ich beim Betrachten unserer morgendlichen Müllpalette zur lokalen Verharmlosung neige. Doch der heutige Zorn des Meeres ist global, die Enthüllung gleicht einem Warnruf, die dunklen Wolken am Horizont wecken mehr als Monsunmelancholie. Die Welt ist bereits so plastifiziert, dass sie für zehntausende von Jahren nicht mehr so sein wird, wie sie sich einmal im plastikfreien Naturzustand präsentiert hat. Es scheint schon jetzt ziemlich wahrscheinlich, dass die Plastikrückstände die Menschheit um ein x-faches überleben werden.