Freitag, 15. Oktober 2010

Helm ab

Wer fragt sich nicht ab und zu bei der nicht abklingenden Sicherheitsdiskussion ringsum die Unfallprävention bei den Kindern, wann Regeln und Vorschriften beginnen zu nerven. Die Schweiz als Land der Versicherungen, Absicherungen und Zusicherungen gibt sich Stolz als teuer erkaufte Hochsicherheitsburg. Falls man nicht mitmacht bei diesem oft fern vom gesunden Menschenverstand liegenden Präventionswettbewerb beim Helmtragen, Impfen oder Schulwegbegleitplan gilt jemand schnell als verantwortungslos.
Wir satteln fernab von diesen zu oft fragwürdigen Konventionen mit zwei Motorrädern und drei Kindern zu unserer Inselrundfahrt. Enya singt hinten im Rucksack und Lia fragt, wieso man denn hier keine Helme trägt. Sie wird ständig vom Gefühl begleitet, dass hier in Thailand einfach alles erlaubt ist, die Polizisten sind so nett, Parkieren ist überall zugelassen, alle winken auf der Strasse und Helme trägt niemand, ausser vielleicht ein paar komische Touristen aus einer fernen Sicherheitszivilisation. Sicherheitsgurten gelten eher als Dekor, Verkehrstafeln fehlen gänzlich, abgesehen von den Ortsnamen und Kinder sind entweder auf dem offenen Pickup dicht gedrängt zwischen Gepäck oder sogar schon selbst am Lenkrad. Wir integrieren uns prächtig im Inselverkehr, der sehr gemächlich abrollt, oft sind die Mofas, das hiesige Hauptverkehrsmittel, mit drei oder sogar vier Kindern beladen, wir fallen deshalb also überhaupt nicht auf und denken auch selber bald nicht mehr über die Verkehrssicherheit nach.
Die Langsamkeit auf den Strassen strahlt genügend Sicherheit aus, um mit dem nötigen Verantwortungsgefühl in dieses ungeschriebene Fairnesssystem einzuklinken. Individuelle Sicherheit erwächst aus dem funktionierenden Kollektiv, das hier offensichtlich noch selbstverständlichen Grundregeln folgt. Wo sich die grosse Mehrheit weder ein Babyphone, noch ein Kindersitz leisten kann, wird auf den gesunden Menschenverstand gesetzt. Somit entstehen auch keine absurden Bedürfnisse nach Sicherheitsutensilien wie zum Beispiel der Babybewegungsmelder, der schlafende Babys überwacht, um den plötzlichen Kindstod verhindern zu können.
Wir fahren vorsichtig, selbstverständlich, und fühlen uns gerade dadurch als verantwortungsvolle Verkehrsteilnehmer, die wir in vielen westlichen Ländern nicht gleich sind. Warum? Weil das Tempo Menschen, Konventionen und den gesunden Menschenverstand opfert.
Enya ist inzwischen auf dem Rücken eingeschlafen. Sie fühlt sich sicher, Lia und Simea geniessen die erstmalige "Töfftour" und ich frage mich, wieso wir in der Schweiz nun ein Kindersitzobligatorium bis zu 12-jährigen Kindern eingeführt haben.
"Sicherheit und Kinder" strapaziert ungewollt immer wieder das Verantwortungsgefühl: Bis wo? Wie lang? Wie weit? Ob überhaupt? etc. Oft passiert dann gerade da etwas, wo es niemand erwartet hätte, was wiederum den Radius des Sicherheitsbedürfnisses erweitert. Dabei vergessen wir zu oft, dass ein Grundrisiko einfach bestehen bleibt und die richtige Einstellung und eingeübte Achtsamkeit die wichtigste Versicherungen sind für die Entwicklung des gesunden Menschenverstandes.