Dienstag, 5. Oktober 2010

Körper und Geist

Als der arabische Mittelalter-Philosoph Avicenna versuchte, das reine Bewusstsein, ohne verfälschende körperliche Zustände mit einem Gedankenexperiment zu finden, liess er den menschlichen Körper an einem Faden in der Schwerelosigkeit fliegen. So sollte nur noch der reine Geist sich selbst bewusst werden und merken, dass dem Körper eigentlich gar keine wahre Realität zukommt.
Die heutige Thai-Massage war genau das Gegenteil, das mir widerfahren ist. Der Körper nahm überhand, der Geist wurde irgendwie ausgeschaltet und ich spürte nur noch die teilweise knallharten Druck- und Ziehbewegungen in meinen manchmal entspannten, manchmal gequälten Muskeln. Zum ersten Mal unterzog ich mich dieser sowohl angenehmen wie auch schmerzhaften Behandlung. Irgendwie ist diese traditionelle Thai-Massage das pure Gegenargument zu Avicenna's fliegendem Menschen. Jeder Muskel, fast jeder Körperteil wird aktiviert und heissgeknetet oder geklopft, nur noch der Körper existiert wirklich, der Geist verliert seine Kraft, erscheint nur noch als hilflose Krücke des Körpers, bis er sich selber hoffnungslos aufgibt.
Mit Diskretion und filigraner Technik werde ich behandelt. Sanftmut und Härte zugleich fliessen durch diese Hände, Disziplin und eine Prise Leidenschaft gegenüber Handwerk und Tradition. Ruhe und Gelassenheit erfassen mich durch die körperliche Ent- und Anspannung. Das Bewusstsein hat sich erleichtert von der alltäglichen diskursiven Spannung, die Überheblichkeit des Geistes ist dahingeschmolzen in der Tropenhitze, der Körper hat Überhand genommen und ich erliege sowohl dem Schmerz wie auch dem Wohlgefühl des Loslassens.