Mittwoch, 13. Oktober 2010

Ida's Traum

Eine wunderschöne Mazurka, die sich im Meeresrauschen verliert, lässt mich mit dem Örgeli dahin schweben. Diese Töne, die nicht nur heimatlich sondern irgendwie auch universell anmuten, lassen in fremden Gefilden nicht nur Wehmut, sondern auch Erinnerungen mit Bildern und Geschichten erklingen. Was war wohl Ida's Traum? Der Titel dieses Tänzlis lässt Vieles zu. Das Meer aber war dem einstigen Komponisten vermutlich sehr fremd und wohl kaum eine direkte Inspirationsquelle. Ebenso wenig hat sich wohl Markus Flückiger beim Niederschreiben dieser Noten von der Weite des Meereshorizontes leiten lassen. Was sagt uns das Meer und Ida's Traum? War Ida vielleicht im Muotathal, auf dem Pragel oder der Ruosalp, bei Regen und Schnee oder bei Föhn und Klarsicht unterwegs? Hat sie am helllichten Tag vor sich her geträumt beim Worben oder Melken? War es in einer klaren Vollmondnacht oder nach der Alpabfahrt?
Träume kennen keine geografischen Schranken, sind aber Spiegelbilder lokaler Eigenheiten und Lebenswelten. Ich spinne an Ida's Traum weiter, wie schon mancher vor mir beim Ziehen und Stossen vom einen Bass zum nächsten.
Wie tönt eigentlich Thai-Musik? Bisher habe ich überall nur einen globalisierten Einheitsmix wahrgenommen. Ich fühle mich plötzlich als Exot, als quasi Extrem-Traditionalist einer vergangenen Kultur aus dem fernen Westen. Musik ist so globalisiert, dass die Vielfalt gesucht werden muss. An der Oberfläche vernimmt man nur den sich ewig wiederholenden Stilmix, des scheinbar universal gewordenen Mainstreams. Das Örgeli wird so zum Sinnbild eines Widerstandes gegen diesen akkustischen Konformismus, der mich nachdenklich stimmt. Ich spiele gegen die Zeit und träume von mehr Mut zur Vielfalt, von komischen Käuzen, die Volksmusik noch für die wahre Quelle von Kultur halten und von duftendem Heu und dem Pfeifen der Munggen.
Das Meer rauscht weiter, braust auf und nimmt mir den Ton ab. Meine Bässe verlieren sich in der Weite der Schaumkronen, die Sechzehntel reissen irgendwo ab im nahenden Getöse des nächsten Gewitters, aber Ida's Traum bleibt und entwickelt sich weiter, talauswärts, Richtung Süden, wo die Wellen zu Berg und Tal sich formen und wo Echo und Alpsegen sich in der Gischt der Brandung auflösen.
Ich kapituliere vor den Gewalten des Monsuns und halte inne: War es vielleicht doch der Föhn oder ein Schneesturm der tobte als Ida einen Traum nicht mehr vergessen konnte? Ich werde in die Weite des vor mir liegenden Horizontes mit Ida weiterträumen im Rhythmus der Mazurka.